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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1903)
DOI Artikel:
Gregori, Ferdinand: Die Entwicklung der Kulisse, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0508

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vie bnlvicklung cker Rulisse.

Jetzt ist in der Stadt stille Spielzeit oder, je nachdem, gar
keine. Selbst der treue Abonnent und regelmäßige Stammgast
„seines" Bühnenhauses hat nun Muße, sich auch mit etwas anderem
als dem „Aktuellen" zu beschäftigen. Er hat die Neigung, auch für
dieses Gebiet wieder einmal der alten Frage nachzugehen, „wie das
ward". Und wenn ihn am meisten natürlich das Dargestellte und
die Darstellung interessieren, er hat jetzt wohl auch Stimmung, sich
einmal mit dem Schauplatz ihrer Taten zu beschäftigen, mit der
Kulisse.

Bühne, Szenerie, Umwelt, Dekoration, Bühneneinrichtung: all
das scheint mir nicht so eindeutig wie „Kulisse" — eine xars pro
toto — die seltsame Welt zu bezeichnen, von deren Geschichte ich reden
will. „Bühne" begreift das ganze Theaterwesen in sich, Gebäude,
Stück und Schauspielkunst; „Szenerie" wenden wir ebenso häufig auf
die wirkliche Landschaft an wie auf die leinene des Theaters, „Um-
welt" weist auf das wirkliche Milieu; von „Dekoration" reden wir
bei jeder Auszierung, und die „Bühneneinrichtung" eines Stückes
ist in der Regel nichts weiter denn seine gebrauchsfertigc Textbear-
beitung. „Kulisse" aber hat sich, auch wenn sie als Symbol auf-
tritt, den rein theatralischen Charakter bewahrt, und ich verstehe im
Folgenden nicht allein die praktikablen Seitenwandteile darunter, son-
dern alles Leblose auf der Bühne, was Täuschungs-
werte besitzt.

Die Kulisse zeigt in ihrer Entwicklung die Tendenz, sich schärfer
und schärfer vom Parkett, d. h. dem Zuschauerraume abzugrenzen,
sich von ihm zurückzuziehen, sich selbständig zu machen. Thespis' Vor-
gänger stellte sich mit seinen Leuten — nicht viel anders als heute
der Ausrufer auf den Jahrmärkten — in der Mitte eines Hörer-
kreises auf und hielt von seinem schifförmigen Karren herab, der den
Fundus barg, in der Maske eines Gottes oder eines Helden die An-
sprachen, denen seine Choreuten antworteten. Auch Thespis selbst war
noch sein einziger Solist, aber er vereinigte schon in seiner Hand
mehrere Rollen, wie wir das heute noch auf kleinen Bühnen sehen.
Er verschwand also während des choralen Teiles der Dichtung in
seinem ambulanten Hause und stellte sich nach einiger Zeit, wenn
er vorher vielleicht den Dionhsos verkörpert hatte, als Lykurgos oder
Pentheus vor. Sein Standort, die Orchestra, zeigte im großen Dyo-
nysostheater die Form eines vollen Kreises. Als dann Aeschylos
den kühnen Schritt vorwärts tat, einen zweiten Schauspieler einzu-
führen, machte er auch beide in der Bewegung freier. Er bannte sie
nicht mehr an den Wagen und, als dieser aus der Orchestra ver-
schwand, auch nicht an die bretterne Erhöhung (Thymele)- sondern
sie nahmen von dem ganzen Bühnenkreise Besitz. Freilich hielten sie
sich nach Möglichkeit vom Chore abgesondert und überragten ihrc
Umgcbung äußerlich durch angeschnallte Kothurne. Aus dem Karren
wurde das Zelt, das die Truppe quer vor der Orchestra auf-
schlug, die dadurch etwa cin Viertel ihrer Kreisform einbüßte.
Hinter der Wand des Zeltes (Skene) kleidete man sich an und um,

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Augustheft isos
 
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