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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1903)
DOI Artikel:
Lange, Konrad: Die Illusionsästhetik und ihre Gegner, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0523

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gegenüber. Das ist so wenig der Fall, daß ich vielmehr schon seit
Jahren in Schrift und Wort die Behauptung vertrete, der letzte bio-
logische Zweck der Kunst sei die Erweiterung und Vertiefung der Bor-
stellungen und Gefühle, was doch auf den Jnhalt hinausläuft. Und
grade dadurch unterscheidet sich die Jllusionsästhetik prinzipiell von
der Formästhetik, daß sie den Jnhalt nicht als das mehr
oder weniger gleichgiltige Substrat einer rein for-
maleu Wirkung auffaßt, sondern vielmehr als das
letzte biologische, kulturhistorische und entwicklungs-
geschichtliche Ziel jeder künstlerischen Tätigkeit. Wenn
es der höhere Zweck der Kunst ist, den Menschen Ersatzvorstellungen
und Ersatzgefühle an Stelle der wirklichen zu bieten und damit sein
Gefühlsleben vor Absterben und Verkümmerung zu bewahren, so ist
es wohl klar, daß die Kunst letzten Endes um des Jn-
halts willen da ist. Es ist mir vollkommen unerfindlich, wie
man diese klare und notwendige Folgerung nicht hat ziehen, vielmehr
die Jllusionsästhetik immer mit der Formästhetik hat in einen Tops
werfen können."

So steht wörtlich zu lesen auf S. 81 des zweiten Bandes. Jch
muß wiederum dagegen protestieren, daß man meine klar und deut-
lich dastehende Meinung in ihr Gegenteil verkehrt und dann gegen
diesen mir untergelegten Unsinn polemisiert. Wer sich seine Meinung
über die Jllusionsästhetik nach der Lektüre des ersten Bandes bilden
zu können glaubt, den kaun ich daran natürlich nicht hindcrn. Wer
aber darüber schreiben will, von dem muß ich verlangen, daß er
auch den zweiten Band wenigstens zum Teil gelesen hat.

Es ist sehr charakteristisch, daß diejenigen, die für die Be-
deutung des Jnhalts in noch weiterem als dem angedeuteten
Sinne eintreten, dabei immer an die Poesie und zwar an be-
stimmte, inhaltlich besonders bedeutende Dichterwerke wie König Lear,
Faust u. s. w. denkcn. Aber diese „Weltanschauungspoesie", wie ich
sie ncnnen will, ist nicht die Poesie überhaupt, und nicht jede Kunst
ist Poesie. Es gibt eine Menge Kunstwerke, die inhaltlich viel zu
nichtssagend sind, als daß man bei ihnen von Vertiefung des eigenen
Gefühlslebens, von Erweiterung der eigenen Persönlichkcit reden
könnte. Oder wird es etwa Volkmann auch „weit ums Herz" beim
Anblick vou Rembrandts aufgeschnittenem Ochsen im Louvre oder
Velasquez' spanischem Hofnarren Bobo de Coria oder Manets virtuos
gemaltem Spargelbund? Gewiß, das sind, inhaltlich betrachtet, niedere
Kunstwerke. Aber es sind doch Kunstwerke, und zwar Schöpfungen
großer Künstler. Das wußten und empfanden die Aesthetiker der
älteren Schule nicht, darum schieden sie solche Kunstwerke von vorn-
herein aus der Betrachtung aus uud in dieser Weise kamen sie ebeu
zur Jnhaltsästhetik. Wir aber wissen es, schätzen auch diese Werke iu
ihrer Art hoch, und — bleiben doch bei der Jnhaltsästhetik stehen.
Diese Logik verstehe ein anderer!

Derartige rein illusionistische Kunstwerke sind grade die Haupt-
stütze der Jllusionstheorie. Die Tatsache, daß es solche nichtssagende,
nur um der Freude an der Jllusion, d. h. an der Naturwahrheit
willen gemalte Bilder gibt, ist einer der entscheideudsten Beweise da-

Aunstwart
 
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