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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 21 (1. Augustheft 1903)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0525

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des Daches; hält die Hand über die Augen und schaut hinaus. Lauscht
dann nach einer anderen Seite, witternd nach Raubtierart, geht mit
schlnrfenden Schritten hin und her, reibt die Hände, schüttelt den
Kopf.)

Ahasver (ruft die Treppe hinunter, nicht laut): Johannes!
(Schlürft wieder hin und her.) Noch kauert Finsternis hingeduckt an
den Hängen des Oelberges. . . Der Staub der Gasse liegt unbe-
rührt. . . Kein Turm schlürft das erste Licht. . . (Horcht.) Es sind
Gassenhunde . . . Und die Kamele derer, die da kamen aus der gelben
Wüste zum Osterfest, lagern ruhig am Rande der bleichen Stadt
zwischen den braunen Zelten. . . O Jerusalem — Zion — Stadt
Davids! werde Todesstadt, sag' ich, wenn du nicht aufwachst zu
Kampf und Zorn! Hätt' ich des Raubtiers Tatzen —! . . . Und
doch — es ist in diesen Lüften ein Ahnen und Zittern. . . (Zieht
fröstelnd sein Gewand fester, drückt den Turban tiefer. Schaut nach
dem heller werdenden Osten.) Siehe, mit Blut bcmalt die Himmels-
pforte Judäas! Wie einst! Wie in Aegyptenland jedes Ebräers
Pforte blutrot war . . . Doch, Gott Zebaoth, wo hast du das Passah-
lamm? (Johannes kommt, ein Jüngling.)

Ahasver: Mein Knabe Johannes, merke dir mein Wort: Du
sollst in die Stadt laufen, 'du sollst in der Stadt herumhorchen.
Verstehe mich wohl! Es kann sein, daß Dinge geschehen seien . . .
Es kann sein, daß mancherlei Unheil über Nacht herausgekrochen aus
seinen Höhlen. . .

Johannes: Was sollte geschehen sein?

Ahasver: Kann ich es wissen? Wie kann man wissen, was
da könnte geschehen sein? Jch lag auf meinen Fellen und schlief.
Aber meine Secle ging umher. . . Lauf in die Stadt, srage! Geh
zu den Brunnen der Kameltreiber, mach dich auf die Plütze, fange
Worte auf, die müßig in der Luft fliegen — und kehre wieder her!
Jch bin alt, es ist nicht Sache des Alters, sich in Gedräng und Ge-
räuschen zu tummeln. Auch hat mich kein Schlaf erquickt. (Es wird
hell.) Sieh — o sieh diese blutroten Fittiche des Ostens! Ein Dä-
mon reckt sich! Ein Dämon steht dort am Rande Jerusalems! Horch:
hörst du das Pochen da unten — da unter der Rinde der Erde?

Johannes: Jch höre nur der erwachenden Stadt fröhlich
Geräusch. Jch sehe nur der Morgenröte schönen Schein.

Ahasver: Sterne und Meteore fallen über Nacht — wer
weiß, welch ein Stern gefallen sein mag in dieser Nacht!

Johannes (stutzt): Wovon sprichst du?

Ahasver: Kanu sein, daß mich Träume narrten. Kann aber
auch sein, daß ich in Wahrheit vernahm Waffengeklirr. Ja, Waffen-
geklirr, und der Kriegsknechte rauhen Gang. (Bleibt stehen, in unter-
drücktem Triumph.) Wenn sie — — wenn in Hanfstricken einer
stände vor — (bricht jäh ab). Stehst du noch, Knabe?!

Johannes (ist erschrocken): Von wem sprichst du da, Vater?!
(Faßt ihn am Arm.) Noch einmal dies halbe Wort, das dir da ent-
flog — von wem spricht deine Seele?!

Ahasver: Jch? Wer? Von wem sollt' ich da gesprochen
haben? (Horcht auf. Zieht ihn an den Rand des Daches.) Wisch

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