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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1903)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Worauf steht unser Recht?
DOI Artikel:
Bielschowsky, A.: Goethes Lyrik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0021

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saßt es in Begriffe und mit der Sprache der Begriffe strent es sich
in Gedankensaaten aus. Was von feinen und großen Gefühlen
errungen wird, es bindet fich an Anfchauung und überträgt fich mit
Gestalt. Fordern wir immer und immer wieder: lernt und lehrt seine
Sprache, übt euch darin und bildet sie aus, so ist alles Aesthetische
dabei nur Mittel zum Zweck, der letzte Zweck aber ist die Gefühls-
kultur und als engest mit ihr verbunden die fittliche.

Schon, wer nur verlangt, daß ein Bau, nein, wer nur ver-
langt, daß in feinem Zimmer der Schrank und der Stuhl statt mit
Putz zu protzen und mit Jmitation zu schwindeln, sachlich und wahr-
haftig auch erscheine als das, was er ist, schon er dient der Ver-
innerlichung des seelischen Lebens, fchon er dient der fittlichen Kultur,
indem er der ästhetifchen genügt. Verstehen wir ihre Sprache, wird
sie uns gar geläufig wie Mutterlaut, so erkennen wir Aeußerlichkeit,
Leerheit und Verlogenheit ebenfo wie ehrliche Schlichtheit, phrasen-
lofe Tüchtigkeit und aus innerer Fülle schöpfenden Geist, wo das
ungeübte und ungebildete Auge fich blenden und irren ließ. Das
Haus, die Straße, die SLadt, nun werden sie für uns wieder zum
Ausdruck auch des fittlichen Lebens im Volk, und zeigen nun auch,
wo gebesfert, erhalten und erneuert werden muß in der geheimen
Seele der Zeit. Bilder und Standbilder, die uns bisher nur Schmuck
waren oder wahrer oder falfcher Bericht, nun fprechen sie zu uns
noch von Anderem und sprechen zu uns, wie der Zwerg zu dem,
der Drachenblut trank: wir hören die Wahrheit, und ob sie lügen.
Die Tonkunst wird aus einem Spiele fürs Ohr zu einer Künderin
nun von Unmeßlichem, gebannt hat's in den Herzen der Nächsten ge-
lebt, die Töne befreiten's, nun kommt es zu uns, und nun bleibt es
bei uns auch wenn es weiterklingt. Der Dichter, nun tritt er zu
uns hervor, aus all den Schwelgern und Schwätzern, mit denen der
Blick bisher ihn vermengte, der Dichter, der bereichernd zum Schatze
der Menschheit legt, was er felber ergraben hat, zu diesem großen
Schatze an Seelenkraft, der der eigentliche Hort im Kampfe gegen
das Tier in uns felbst ist. So brauchen wrr ästhetische Kultur, um
unfer alltägliches Leben freudig-ernst, wahr und tüchtig zu machen,
aber fie allein vermittelt uns auch bis zum Religiöfen hin die tiefste
Einkehr und den höchsten Auffchwung. A.

Goeikes Oyrik.*

Jndem wir von Goethes Lyrik sprechen, rücken wir in den Mittel-
punkt feines Dichtens überhaupt. Er selber erkannte an dem Ent-
stehen und Glücken seiner Lieder am besten feine dichterifche Begabung.
Sie war ihm frühzeitig etwas Wunderbares und Rätfelhaftes. Die

* Es ist uns eine ganz besondere Freude, diese Arbeit Albert Biel-
schowskys, des viel zu früh verstorbenen, Zum erften Male dsr Oeffentlichkeit
übergeben zu dürfen. Um fo mehr, als wir gleichzeitig mitteilen können, daß der
zweite Band seiuer Goethe-Biographie nun binnen kurzem von der C. H, Beckschen
Verlagsbuchhandlung (Oskar Beck) in München aus dem Nachlaffe heraus-
gegeben werden wird. Unser Aufsatz ist ein Teil daraus — braucht es zur
Empfehlung des Ganzen eigsntlich noch mehr? Bielschowskys Goethe gehört
in jeses Deutfchen Haus, der überhaupt befühigt ist, Goethe geistig mitzubesitzen.

U Gktoberheft ^90^

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