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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1903)
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Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwarts für 1904, [9]: Philosophie und Psychologie
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0343

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Pbilosopkie urick s)syckoLogie.

Die Wandlungen unserer Auffassung von Einzelheiten des materiellen
und psychischen Geschehens, welche die Geschichte der Ersahrungswissenschasten
ossenbart und welche sich in den letzten Jahrzehnten in besonders grotzem Um-
fange ereignet haben, müssen natürlich jedes ernste Unternehmen, die letzten
Bedingungen und das Wesen des Weltganzen zu bestimmen, beeinslussen. Bei
der den meisten Menschen eigentümlichen Neigung, aus unzureichenden Voraus-
setzungen Behauptungen von größter Tragweite zu bilden, weist die reichhaltige
Literatur, welche unter dem Namen „Philosophie" zu Markte geht, heute im
Zeitalter des Einzelwissens weit mehr denn je Produkte auf, die nicht nur
nicht im mindesten die Erkenntnis zu fördern, das Klarheitsbedürfnis solide
zu besriedigen fähig sind, sondern vielmehr verwirren und durch Phantastereien
oder oft sogar ganz hohle Phrasen über die Schwierigkeiten hinwegtäuschen.
Der „Höhendunst", von dem jüngst im Kunstwart die Rede war, qualmt über
die begeisterten Feuilletons, Flugschriften und Essay-Sammlungen bedenklich
auch in die „wissenschastliche" Literatur hinaus. Da in der Tat nichts schwerer
ist, als vermöge ehrlicher und gründlicher Denkarbeit zu einer Weltanschauung
zu gelangen, die durch zwingende Wahrheit befriedigt und das Fundament
einer vernunftgemäßen Lebensgestaltung abgeben kann, und da anderseits
gründliche Denkarbeit nur weniger Menschen Sache ist, während die übrigen
Menschen sich blenden und gängeln lassen, so finden gerade jene Produkte den
meisten Anklang. Sie finden öfsentlich eine Betonung und Bewertung, die in
einem sehr falschen Verhältnis zu ihrer wirklichen Bedeutung steht und höchstens
bekundet, wie selten trotz aller Kulturerrungenschasten bei den allerwichtigsten
Angelegenheiten lebendige Vernunft waltet. Viele Schriftsteller ferner philoso-
phieren noch heute in denselben Geleisen wie unsere Vorfahren: mit Hilfe einiger
Begriffe von geringem Jnhalt, aber grotzem Umfang, die zumeift sogar von
srüheren Denkern entlehnt sind, konstruieren sie sich eine wohlgeordnete Welt;
um die Tatsachen und gar um die Ergebnisse der exakt-wissenschastlichen For-
schung kümmern sie sich nicht im mindesten, und so können sie ohne Konslikte
die wundervollen Effekte ihrer Weisheit genießen.

Wir beschrünken uns hier auf die philosophische Literatur, welche wissen-
schaftlichen Charakters ist, und zwar wissenschaftlich erstens in der Methode des
Gedankenaufbaus und zweitens vermöge der den Ergebnisfen der exakten Er-
fahrungswissenschaften methodisch entnommenen Voraussetzungen des Philoso-
phierens. Wir beschränken uns ferner auf die moderne, wissenfchaftlich-philo-
sophische Literatur; ohne die Bedeutung, welche gerade philosophische Werke
der Vergangenheit für die Gegenwart haben, im mindesten zu verkennen, halten
wir es doch für angemessen, hier nur auf die Geschichte der Philosophie als
ganzes zu verweisen und es einem jeden zu überlassen, sich in den Autor noch
besonders zu vertiesen, den ihn die Geschichie in dieser oder jener Richtung
hochzuschätzen veranlaßt.

Wer die Geschichte der Philosophie studieren will, halte sich an
Windelbands „Geschichte der Philosophie". Eine gute und gemeinverständ-
liche „Geschichte der neueren Philosophie" hat Höffding und sodann Falcken-
berg geleistet; Falckenbergs Buch enthült auch eine Erläuterung der wichtigsten
philosophischen Kunstausdrücke. Einen altbewährten Grundriß „der Geschichte
der Philosophie", den man schon um seiner ausgezeichneten Bibliographie willen
hervorheben muß, haben wir von Ueberweg-Heinze. Zu empsehlen ift auch
F. A. Langes „Geschichte des Materialismus". Wer die Persönlichkeiten der
Philosophen konkreter vor Augen haben will, als sie ein einigermaßen einheit-
liches Geschichtswerk darzustellen oermag, der lese Euckens „Lebensanschau-
ungen der großen Denker". „Zur Einführung in die Philosophie der Gegen-
wart" ist sachgemäß ein neues Buch von Riehl betitelt. Sollte die Lektüre
Schwierigkeiten machen, so empfiehlt sich, zuvor die leicht lesbare „Einleitung
in die Philosophie" von Jerusalem oder die von Külpe, Paulsen oder von
Cornelius durchzunehmen, vielleicht tut auch gute Dienste ein Nachschlagen
in Eislers „Wörterbuch der philosophischen Begriffe". Anleitung und um-
fassende Orientierung über Geschichte und gegenwärtigen Stand, über Sach-
liches und Literarisches bietet ferner das großartige neue „Oiotiormr^ ok pllilo-
sopll^ unck pszmlioloA^", das I. M. Baldwin herausgegeben hat. Wer

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