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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

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Heft 12
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Batka, Richard: Johann Strauss, der Vater
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0804

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Iokann 8lrauss, äev Valer.

Hundert Jahre sind's am März, daß Johann Stranß sen.
in Wien geboren wurde. Jubilate! Je nun, es wird einer besonderen
Ansforderung an diesem Jubeltage kaum bedürsen, und gleichzeitig mit
meiner schreiben wohl hundert Federn schon heut an dem prompt
zu liesernden Gedenkartikel sür die Zeitung. Sie gleiten flott über
das Papier, denn der Stoff ist sröhlicher Natur und läßt sich ohne
viel ästhetische Spekulation sehr leicht und sehr reizvoll gestalten.

Wie viel Anziehendes kann schon erzählen, wer sich nur ans
das Biographische verlegt. Daß der Vater, ein ehrsamer Gastwirt,
den Jungen durchans nicht „Brat'lgeiger" werden lassen will, daß
der kleine Trotzkopf aus unwiderstehlichem Drange zur Musik aus
der Buchbinderwerkstatt seines Meisters durchgeht, daß er einen liebe-
vollen älteren Freund findet, der ihn auf der Violine so weit bringt,
daß er in die neugebildete Lannersche Kapelle eintreten kann, das liest
sich ja nahezu romanhaft. Und mit Vergnügen verweilt man bei den
Bildern gemütlichen alten Musikantenlebens, wie Lanner und Strauß
als Kompagnons ihre Kapelle sühren, wie Strauß sich selbständig und
dem einstigen Genossen die ersolgreichste Konkurrenz macht und wie
beide doch trotzdem gnte Freunde bleiben. Es liest sich auch unter-
haltend, wie Strauß auf häusigen Reisen mit seinem Orchester, die
ihn bis nach Frankreich und England führen, den Weltruf des Wiener
Walzers begründet und wie die Jronie des Schicksals ihn die Kämpfe
seiner Jugend aus der Vaterperspektive an seinem eigenen ältesten
Sohn erleben läßt. Johann Strauß der jüngere wird gegen seinen
Willen Musiker, ja er muß sich mit ihm, kanm daß sein Rivale
Lanner (18^3) gestorben ist, gar in die Gunst der tanzfrohen Wiener
teilen. „Gute Nacht Lanner! Guten Abend Strauß-Vater! Guten
Morgen Strauß-Sohn!" ist nun die Losung. Am 25. September j8V
räumt der erste Walzerkönig dem gleichnamigen zweiten sür immer
den Platz aus dem Throne des Dreivierteltaktes.

Der Kulturhistoriker mag um die Gestalt des Jubilars das ganze
Altwiener Milieu wieder heraufbeschwören. Musik in allen Privat-
häusern, bei allen ösfentlichen Zusammenkünsten. Haydn, Mozart,
Beethoven, Schubert haben gelebt. Rossini hat über Weber den Sieg
davongetragen. Jtalienische Opernmusik ist Trumps. Die verseinerte
Sinnlichkeit des klassischen Zeitalters ist zur flachen Genußsucht ent-
artet. Und die liebenswürdige, harmlose Seite dieses Wiener Wesens
hat sich in der Tanzmusik eines Lanner und Strauß verdichtet. Aus
ihrem musikalischen Dusel, den die Metternichische Regierung gerne
sah, weil er die Leute abhielt, sich mit politischen Angelegenheiten zu
befassen, wurde die Kaiserstadt durch die Revolution geweckt. Strauß
Vater selbst mußte erfahren, daß der Zauber seiner Weisen vor den
äußersten Nöten der Zeit schließlich versagte. Man zwang ihn wohl,
zu den Festen der Nationalgarde auszuspielen, aber da ging er hin
und komponierte den Radetzkymarsch. Jn seinen Tönen war Alt-
österreich. Und wir merken wieder einmal den innigen Zusammen-
hang zwischen Tonkunst und allgemeiner Kultur, deren klanggewordener
Ausdruck sie ist, wir spüren den lauen Duft des Vormärz, können

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