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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

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Heft 4 (2. Novemberheft 1903)
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Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwarts für 1904, [7]: Geschichte und Kulturgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0323
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halben geht er von den Persönlichkeiten und Einrichtungen einer Epoche auf
das ihnen gemeinsam zugrunde liegende seelische Substrat zurück. Meisterhaft
vermag er die Eigenart des seeliichen Gesamtlypus und seiner Entfaltung auf
allen geschichtlicben Lebensgebieten zu schildern. Die deutsche Geschichte Lamp-
rechts ist vorläufig zusammenhängend bis zu dem Jahre 1648 geführt. Außer-
dem aber hat der Verfafser in zwei „Ergänzungsbänden" — ein dritter wird
wohl noch vor Jahresschluß folgen — eine tiefgreifende Analyse der Gegen-
wart gegeben. Der erfte Ergänzungsband behandelt mck feinem Nachempfinven
der komplizierten seelischen Regungen das moderne Geistesleben — Musik,
bildende Kunst, Dichlkunst, Weltanschauung —; der zweite die wirtschaflliche
Kultur, die er im Zusammenhang mit den früheren Stufen der Wiatschaft be-
trachtet. Der dritte Band wird die Analyse des modernen politischen Lebens
bringen.

Unter den biographischen Darstellungen haftet den Selbstbiographien der
besondere Reiz der ilrsprünglichkeit an. Genannt seien Thomas Platters
Lebensbeschreibung, dann dieGötzens von Berlichingen und die des Ritters
von Schweinichen, Grimmelshausens Simplicissimus, der Briefwechsel
der Prinzessin Charlotte Elisabeth von der Pfalz. Neu herausgegeben
ift dieses Jahr der Briefwechsel der Fürstin Paulina zur Lippe. Jn der
neueren Zeit ist die Menge von Memoirenwerken fast unübersehbar. Ehrwürdig
ist uns Deutschen natürlich die literarische Hinterlassenschaft Bismarcks und
Moltkes. Bismarcks „Gedanken und Erinnerungen", seine Reden, seine Briefe
an Braut und Gattin bedürfen wahrlich nicht erft der Hervorhebung. Von
Moltkes Werken exiftiert schon seit langem eine forgfältige Gesamtausgabe.
Wer nicht Zeit hat, sich durch fie hindurch zu arbeiten, wird eine jüngst erschienene
Auswahl seiner Briefe willkommen heißen.

Hervorragende Leistungen der bwgraphischen Geschichtsschreibung find
Rankes „Wallenstein", Dropsens „Alexander der Große" und „Pork von
Wartenburg", Gotheins „Jgnaz von Loyola", Noordens „Frau von
Maintenon", Krausens Cavour. Die veraltete Biographie des Freiherrn von
Stein von Pertz ist neuerdings erfetzt durch die Arbeit Max L ehmanns.
Von seiner Stcin-Biographie find zwei Bände erschienen, deren erster Steins
Entwickelung bis 1807, der zweite sein großes Reformwerk auf grund sorg-
fältiger Sludien darstellt. Köstlins Lutherbiographie wird gegenwärtig
von G. Kaw'erau gründlich revidicrt. Der erste Band dieser Neubearbeiiung
ist bereits erschienen. Daneben sei an das schöne, dreibändige volkstümliche
Werk von Martin Rade erinnert „Luihers Leben, Taten und Meinungen",
das bei Mohr in Tübingen erschienen ist. Eucken fchildert in feinsinniger
Darstellung, wie die Lebensprobleme der verschiedenen Zeitalter in den An-
fchauungen ihrer geistigen Führer zum Ausdruck gelangen — eine Geistesge-
fcyichte in biographischer Form.

Neuerdings geht in der biographischen Geschichtsschreibung das Bestreben
auf eine verlicfte psychologische Betrachtungsweise, auf eine g'ößere Jntimilät.
Dieser Richtung sind — bei aller Verschiedenheit im einzelnen - zuzurechnen
A. E. Berger mit seinem „Luther", E. Marcks mit seinem „Wilhelm 1.",
Fefter mil seinen geislreichen Studien über „Machiavelli" und über Wil-
helmine, die Schwefter Friedrichs des Großen.

Von politischen Gefchichlswcrken seien die folgenden namhaft gemacht.
Curtius' „Griechische Geschichte". Mommsen rückt in feiner großcnüg an-
gelegten, mit souveräner Beherrschung dcs Quellenmaterials geschriebenen
„Römischen Geschlchte" die Entwickelung des Staatswesens in den Vordergrund.
Giesebrechts „Geschichte der deutschen Kaiserzeil", Heycks „Kreuzzüge",
Rank es sckwn genannte „Reformationsgeschichte", Hausraths „Oleander und
Luiher auf dem Reichstage zu Worms", Ritt ers „Gegenreformation", Marcks
„Zeitalier der Elisabeth", Gindelys „Dreißigjähciger Krieg", Arnolds
„Vertreibung der Salzburger Proleslanten", Heycks „Großer Kursürst",
Spahns „Großer Kurfürst" (geistreich, aber mit großer Vorficht zu lesen)
Kuglers „Geschichte Friedrichs des Großcn" (durch Menzels Jllusirationen von
unvergänglichem Werte), Kosers „Geschichte Friedrichs dcs Großen", Sybels
„Geschichte der Revolutionszeit",Pflugk-Harttungs zw>ibändiges, gut popu-
lüres Prachtwerk über Napoleon I., Droysens „Vorlesungen über die Be-
freiungskriege", Kämmels „Werdegang des deutschen Votkes". Eine gute

2. Novernberheft (yoö

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