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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1904)
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Avenarius, Ferdinand: Liliencron
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0291

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Barone, noch das, was Bartels „AssessoreN-Literatur" nennt, Ls gaö
auch den „Konservativen" Bartels selber wenigstens noch nicht auf
der Bildfläche, die Anführer der literarischen Revolutionsarmee hielten
mit ihrem ganzen Generalsstabe auf der Linken, Studenten waren's
und sonst Anfänger, ein paar Streber darunter schon, die im
Trüben fischten, weitaus in der Hauptsache aber ehrliche radikale
Jdealisten, die auch politisch „Umstürzler" waren. Und trotzdem einem
„Junker" mit den „feudalen Jnstinkten", einem Hauptmann a. D.,
dem das Soldatentum über alles ging, ein Jubelzuruf auf der ganzen
Linie. Schelten wir nur aus das Gründeutschlaud von damals, diese
Tatsache ehrt es. Dem sich unsre „gute Gesellschaft" so langsam,
leise, vorsichtig und mit Vorbehalt näherte, daß sie ihm erst uach
zwanzig Jahren einigermaßen hörbar applaudieren zu dürfen glaubte,
haben sofort als er auftrat radikale Stürmer und Dränger zu-
gejauchzt. Und nicht etwa, weil er einer wie der „Freiherr
von Schlicht" gewesen wäre. Gewiß, er sah die Engen in seiner Um-
gebung und fühlte sie wie Käfigstangen, aber er machte sich lieber
über sein eigenes „Verschedichtertum" lustig, als daß er's als erhaben
pries, und verleugnete seine Neigungen damals so wenig wie später
je. Es irrt auch, wer meint, daß Liliencrons Lust an heiterem Liebes-
genuß den damaligen Jüngsten eine Empfehlung gewesen wäre: für
freie Liebe waren die wohl, aber mehr für tief ernst leidenschaftliche
und wenn sich's nur irgend machen ließ unglückliche — Schmetterlings-
flüge waren ihre Sache schon gar nicht. Und es ist drollig genug,
wie später die Moderuitischen unsern fröhlichen Poeten zu einer dü-
monischen Riesengestalt, zu einem Uebermenschen, zu dem „Vollender
Nietzsches" umgemalt haben, nm seine Leichtlebigkeit in ihre Stim-
mungen einzupassen.

Darf ich von mir auf andere schließen, so war das, was uns
bei den „Adjutantenritten" sofort gefangen nahm, die starke Wir-
kung bei gänzlichem Ausbleiben jeglichen Literatengeschmacks. Wir
alle mußten uns unsäglich mühn, als Hans zu verlernen, was Häns-
chen gelernt hatte, wir waren verschüttet unter Papier, erkannten das
und arbeiteten mit Händen und Füßen, um herauszukommen, aber
eben das strengte so an, daß es mehr müde als frisch machte. Lilien-
cron war als Literat die Unverbrauchtheit selbst. Jäger war er ge-
wesen, aber einer, der für Wind und Wald und Wasser nicht weniger
übrig Hatte, als fürs Wild; Soldat, im Kampfe jauchzend vor Lust;
Mann, Seele und Sinne weit ofsen für Frauenreiz; den wilden Krieg
hatt' er kennen gelernt und später den herben Abschied „Schulden und
Wunden halber"; drüben in Amerika hatt' er nach Glück hcrumgesucht
und dann lange in der lauschig stillen und wieder sturmumsungenen
Großheit der Nordsee-Jnsel weltab bei der Einsamkeit Einkehr gehalten,
— da erst war er Poet geworden. Nun begann es zu perlen, zu quellen,
zu sprudeln in ihm — was schiert ihn die Literatur, er bringt eben
vor, was aus ihm heraus will. Eine starke dichterische Begabung,
die sich nie an künstlichen oder an nachempfundenen Gefühlen ver-
schliffen, verbogen und verzierlicht hat, nun plötzlich gegenüber den
aufgespeicherten Lebenswerten, mit denen ein Vierziger wie diescr sich
vollgesättigt hat immer an den Dingen selber. Wo gibt es für eine

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