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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1904)
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Lebnow, F.: Kriegerischer Klang
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0354

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Rriegeriscker Rlang.

Der Kulturhistoriker Riehl, dem auch die Aesthetik der Tonkuust
und zumal die musikalische Pädagogik manche wertvolle Anregung ver-
dankt, hat im letzten, der Musik gewidmeten Teil seiner vor mehr
als vierzig Jahreu erschienenen „Kulturstudien" ein besonderes, heute
noch lesenswertes Kapitel der derzeitigen Militärmnsik gewidmet. Der
Abschnitt ist eine einzige, große Klage über die souveräne Herrschast
des niedrigsten modischen Schnndes, italienischer und französischer
Gassenhauer in einer Musikgattung, die in engem, aber scharf um-
rissenem Nahmen dem musikalischen Ausdruck des kraftvoll Männ-
lichen, Heroischen dienen soll. Riehl fragt verwundert, wie es denn
komme, daß so überans wenig ans unserer klassischen Marschmusik
Allgemeingut unserer Militärkapellen geworden sei. Marschiere es sich
denn nach einer im Marschrhythmns arrangierten Donizettischen Opern-
melodie besser als nach einem Gluckschen oder Händelschen Marsche?
Und wenn es ohne Arrangements nicht gehe, warum lasse man so
reiches nnd köstliches mnsikalisches Gut wie z. B. in der Becthoven-
schen Jnstrumentalmusik achtlos beiseite liegen und greife immer von
neuem nach dem wohlfeilsten Opern- und Operettentand?

So fragte Riehl vor mehr als vierzig Jahren. Sind seine An-
regungen auf fruchtbaren Boden gefallen und ist die von ihm erhoffte
Neform in unserer Militärmusik wirklich eingetreten?

Leider nicht.

Manches zwar hat sich zum Bessern gewandt. Namentlich ist
dank der Vorliebe Kaiser Wilhelms II. für die mittelalterliche nnd
spätere Marsch- nnd Fanfarenmusik ein großer Teil der in der Tiefe
unsercr historischen und Musikarchive staubenden älteren deutschen
Marschmusik zn neuem Leben erwacht. Die „historischen Märsche",
wie man die „neuentdeckte" Musikgattung nicht eben sonderlich ge-
schmackvoll getauft hat, haben sich nicht nur einen ständigen Ehren-
platz auf den Programmen unserer Militärkonzerte errungen, sondern
auch das Prodnktionsgebiet des deutschen Jnstrumentenbaues und damit
Umfang und Ausdrncksvermögen der Militärorchester bereichert. Es
sei nnr an die Cherusker-, die altdeutschen Fanfarentrompeten usw..
erinnert.

Daneben wuchert aber das alte Unkraut in den meistaufge-
schlagencn Partituren der Regimentskapellmeister weiter. Vielfach
üppigcr denn jemals. Schmachtende Donizettische und Bellinische
Kantilenen in straffen Viervierteltakt gezwängt hört man zwar nur
selten: der ältere italienischc Opernspuk hat, soweit er sich für „Arran-
gements für Harmonieorchester" ausschlachten läßt, längst eine letzte
Zuflnchtsstätte bei den Kapellen kleinerer Badcorte gefunden. Aber
der Ersatz ist nichts weniger als tröstlich. An die Stelle des schlaffen
italienischen Tongeklingels sind vielfach nicht minder süßliche oder
pikante „Schlager" aus modernen deutschen wie französischen Opern
und Operetten getreten, ebenso flotte wie leichtfertige Wiener Ge-
schwindmärsche und — borridils ckiotu — Arrangements aus modernen
Musikdramen, die auf jegliche abgeschlossene Melodik im Sinne der.
älteren Nummernoper verzichten.

1. Iuliheft ,904

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