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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 20 (2. Juliheft 1904)
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Bonus, ...: Von der Kunst der religiösen Rede
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0404

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Von äer Itunsi äer religiössn Recie.

Nietzsche behauptet irgendwo, jahrhundertelang habe in Deutsch-
land nur der Prediger gewußt, was eine Silbe wiege. Er ineint dabei
nicht sowohl etwas in der Aussprache, in dcr Deklamation Gelegenes>
als daß er an den fast musikalischen Wohlklang denkt, den eine wohl-
gefeilte Prosa auch für den Leser haben kann, auf den man aber
leicht zu achten vergißt, wenn man gewohnt ist, zusammenhängend
nur zu schreiben statt zu sprechen und nur leise statt laut zu lesen.

Auch davon abgesehen ist, soviel es heute Borträge nnd Vor-
tragende gibt, die eigentliche Knnstrede noch so überwiegend Sache
der Theologen, daß es sich schon deshalb lohnt, von der Kunst speziell
der religiösen Rede, der Predigt, zu sprechen.

Es wird denn auch anf der Universität eine cigene Knnstlehre der
Predigt, eine sogenannte „Homiletik" vorgetragen; eine schwergelehrte
und in der Tat höchst künstliche Sache. Und als ob es sich darum
handelte, vor allem keine naturgemäße Erwägung aufkommen zu
lassen, ist das ganze Gebäude auf der Grundlage errichtet, daß eine
richtige, gewissenhafte, gute Rede schriftlich ausgearbeitet, dann aus-
wendig gelernt und schließlich deklamiert werden müsse. Und so sehr
ist es dcn Homileten gelungen, diese erstannliche Ansicht zu verbreiten,
daß sie von den praktischen Thevlogen ganz naiv ats das Natürliche
behandelt wird.

Will man unter Thcologen hierüber sprechcn, so muß man vor
allem crst die berühmte Klaus Harms-Anckdvtc über sich ergehen
lassen, denn mit der meinen viele ihre ganze Anteilnahme an der
Frage bestreiten zu können. Klaus Harms wollte einmal seine Predigt
dem heiligen Geist überlassen. Er stand und horchte und gab spär-
liche Weisheit von sich. Dcr Gcist habe schon gesprochen, gestand er
spüter, er habe aber immer nnr gesagt: „Klaus, Klaus, du bist faul ge-
wcsen." Noch schöner ist die Geschichte, die von eincm alten Branden-
bnrger Geistlichen erzählt wird, dem sein Generalsnpcrintendent nach
der Visitationsrede gestand, diesmal hätte er alles dem heiligen Gcist
überlassen müssen. Er erwidcrte, was der Herr Gcneralsnperintendent
selbft sage, gefielc ihm bcsser, als das, was der heilige Geist sagc.

Nachdem so die üblichen Witze erlcdigt sind, können wir vielleicht
dazu kommen, ernsthaft übcr die Sache zn sprechen. Odcr ist es nötig,
uns ausführlich darübcr zn unterhalten, daß Faulheit nicht nnr übcr-
haupt ein Fehler sei, sondcrn auch auf jedcm speziellen Gebiet, und
daß man bei einer schriftlich gemachten Rede ebensoviel davon zu ver-
wenden imstande ist, als bei einer frei gehaltenen, vder darüber, ob
das Schreiben und Ausmcndiglerncn für eine Garantie der Gewissen-
haftigkeit zu crachtcn sei, die man als das Mindestmaß zn fordern
berechtigt ist? Das sind doch alles Gesichtspnnkte, die von dcr Schul-
bank stammen und in ihrer Anwcndung auf erwachsene Menschen
höchstens geeignet sind, wirkliche Gewissenhaftigkeit gar nicht auf-
kommen zn lassen.

Was nun die Sache selbst anlangt, so wollen wir unsrc Ansicht
gleich vorneweg möglichst deutlich hersetzen, damit klar werde, woruni
der Streit geht:

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Runstwait
 
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