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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1904)
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Göhler, Georg: Unser Bühnentanz
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Schielderup, Gerhard: Eduard Grieg als Klavierkomponist
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0094

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gerade ihre einfachsten Bewegungen wirkten mn meisten, und den
Varietsbesucher, der nicht einmat zu künstlerischem Genießen gekommen
war, sesselte hier die Ansdrucksfähigkeit des Menschenkörpers. Man
nnterschätzt doch wohl in vielen Füllen die knnstlerischen Bedürsnisse und
versteht nicht, sie da zu wecken, wo sie nur schlummern. Auch hier
haben wir zum Kämpfen die schwersten Gründe, zum Verzweifeln
gar keinen. Georg Göhler

Eäuarä Grieg als Rlavierkornponist

Unter den Klavierkomponisten der neueren Zeit nimmt Eduard
Grieg einen hervorragenden Platz ein. Nur einzelne seiner Lieder
haben, wenn wir vom Norden absehen, eine solche allgemeine Volks-
tümlichkeit erreicht wie seine Klavierstücke, denn jeder Pianist kennt
und liebt ja seinen Grieg. Und doch bieten die Klavier- und Kammer-
musik-Kompositionen dieselben Schwierigkeiten in Bezug aus Stil
und Vortrag wie die Lieder. Sie werden oft gespielt, aber selten gut.
Grieg ist dermaßen Heimatkünstler, daß seine Werke eine tiesere Kennt-
nis von Norwegens Natur und Volksleben fordern, um richtig nach-
empsunden zu werden. Er dars nicht einfach „korrekt", Note sür Note,
herüntergespielt werden, die Phantasie des Vortragskünstlers muß
vielmehr eine nordische Reise unternehmen, muß in die ursprüngliche
Naivität der norwegischen Rasse untertauchen. Jch möchte nun im
folgenden die wichtigsten dieser Klavierkompositionen besprechen, in-
dem ich versuche, die Phantasie der Vortragskünstler anzuregen, ohne
ihren Flug durch allzubestimmte Angaben zu lähmen. Der Spieler
muß nämlich angeregt werden, „Bilder" zu sehen, innere Vorgänge
mitzumachen, sich in eine neue Formwelt zu vertiefen, nicht nur die
äußerliche Dynamik zur genauen Wiedergabe zu bringen.

Eduard Grieg hat sür den germanischen Norden dieselbe Bedeu-
tung wie Schumann für Deutschland und Chopin sür das in ver-
feinert sranzösischer Umgebung lebende, aus der Heimat verbannte
geistige Polen. Alle drei wurzeln tief in ihrer Nationalität und stellen
die größten Forderungen an die mitschaffende Phantasie der Künstler
und der Zuhörer. Jn rein technischer Beziehung haben Chopin und
Schumann die Grenzen des Klaviers außerordentlich erweitert und
neue Klänge ersunden. Nach ihnen hat Liszt die ganze moderne Kla-
viertechnik völlig umgestaltet. Der Flügel ist zum Orchester geworden,
gewaltige Tonwellen erschüttern uns, und Steigerungen, die bis ins
Unendliche zu sühren scheinen, wenn z. B. ein d'Albert oder Busoni
am Klavier sitzt, erheben uns mit Elementarkrast. Doch an vielen
Kompositionen Liszts haftet stolzes, prachtliebendes Virtuosentum;
äußerliche Effekte, ein nicht einwandsreies Pathos, und elegante Salon-
manieren tauchen mitunter mitten in einer großen, wahrhaft empfun-
denen Stimmung auf. Bei Schumann und Grieg aber dient der tech-
nische Apparat selbst in der kühnsten Entsaltung nur höheren Zwecken,
nie sinden wir ein Haschen nach blendenden äußerlichen Esfekten.
Grieg ist der Erbe dieser Meister und hat von Chopin und Schumann
unendlich viel gelernt. Aber seine starke künstlerische Persönlichkeit
trat schon in seinen jungen Jahren scharf und bestimmt hervor. Auch

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