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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1905)
DOI Artikel:
Nissen, Benedikt Momme: Die mittlere Linie, [2]: zur heutigen deutschen Kunstlage
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0718

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2ur keuligen äeulscken Runsllage (8cklutz)

4. llrilik

Lessings geistige Heldenkraft verkam teilweise. Er lebke in Deutsch-
land, wie Philoktet -auf seiner Jnsel. Sind die Deutschen seitdem klüger
geworden? Wissen sie heute gute und schlechte Kritik besser zu schei-
den — zu kritisieren — als damals? Es scheint sraglich.

Man spricht ost von Künstlerproletariat, doch nie von Kritiker-
proletariat. Beide sind gleich übel. Deutschland hat jetzt einen Ueber-
sluß an kunstkritischen Seifensiedern, die sich wie kleine Lessinge geber-
den. Einige selbständige Kritiker halten sich allerdings von dem be-
kannten Modetreiben fern; durch die Bank aber schwört man gegen-
wärtig auf Manet, Monet, Degas, wie man einst auf Kaulbach, Piloty,
Makart schwor. Orakel ües Tages! Leibl, der sich rechtzeitig gegen
Piloty aussprach, wurde von den damaligen Modemalern belächelt, ja
sast für verrückt erklärt. Heutzutage kommt in ähnliche Lage, wer etwas
gegen Manet sagt. Meinte doch selbst der ahnungslose Parlamentarier
Spahn: man würde diejenigen Künstler kaum mehr der Beachtung wür-
digen, welche sich der Einwirkung Manets entzögen. Maler wie Thoma
und Böcklin darf es also künftig nicht mehr geben. Vor zwanzig Jahren
hieß es: nur in grauen Tönen halte deine Bilder, denn so ist die
Natur (Münchener Spottvogel). Die auf diese Mode dann solgende
Vi 0 l e t tmalerei ist längst begraben. Heutzutage dagegen beweist man
uns haarschars: daß jedes Bild nur aus bunten Flecken zu bestehen
habe. Daß solches neuimpressionistische Tüpfelsystem jemals sür ein
Kunstevangelium galt, wird man später schwer glauben. Die Kritiker,
welche solche Dinge hochtreiben, werden vorübergehen, wie Pecht und
Pietsch vorübergingen.

Trau, schau, wem — sagte der Jgel.

(Aus einer F a b e l)

Bode sagt, daß „der schlimmste Feuilletonismus oder ein bedenk-
liches Reklamewesen leider sich schon vielfach unter der Maske der
Wissenschaft in die Kunstgeschichte eingeschlichen haben". Anderswo spricht
der gleiche Sachkenner von der „liederlichen und perversen Richtung
der neuesten Einemark-Büchlein über Kunst". Man weiß, auf welche
Kritiker dies zielt. Mit Argusaugen, ost auch mit Midiasohren, ver-
solgen sie den Weg der heutigeu Kunst. Sie wägen das Kunslwerk ab
bis aufs sünfzigstel Gramm —- aber man möchte ihnen sechs Lot Ver-
nunft verschreiben. Sie verstehen es, Nichtigkeiten zu Weltereignissen
aufzubauschen. Gschnaskunst erklären sie sür Mirakel, so gewisse Werk'e

2. Februarhest (Y05 66t
 
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