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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1905)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Von der Karikatur
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0773

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Von cter Karikatur

Vater Humor, der alle Welt so freundlich, wennschon bekanntlich
„mit der Träne im Auge", anlächelt, hat eine Stiefschwester, über
welche die Meinungen sehr geteilt sind. Eine stahlumpanzerte Kämp-
ferin, in der Rechten das Schwert, in der Linken das Banner der
Wahrheit, so sehen sie die, auf deren Seite sie steht, die andern aber
behaupten, sie sei eine boshafte Alte, einäugig und mit einer ver-
gifteten Zunge, die sticht. Jst zu irgend einer Zeit so viel über Satire
geschrieben und gedruckt worden, wie in unserer? Was haben Freund
und Feind allein schon vom „Simplizissimus" geredet. Keine Frage,
die Satire ist wieder einmal im öffentlichen Leben eine Macht. Aber
Angrisfe und Verteidigungen gingen fast immer von der Gesinnung
der einzelnen Taten aus, beschäftigten sich fast niemals mit dem Wesen
der ganzen Gattung, ohne Rücksicht darauf, ob ihr einzelner Vertreter
rechts oder links stand und „Recbt" hatte oder nicht. Dürfen wir
dieses Fastnachtsheft benutzen, uni einmal über Satire ganz losgelöst
von ihrem „guten" oder „schlechten" Jnhalt zu sprechen, ganz los-
gelöst also von dem, was uns meist am stärksten aufregt, ganz los-
gelöst von ihrer Tendenz? Vielleicht, daß gerade auf diesem Wege
doch einige unter uns ein paar Seiten der Sache sehen, die sie bisher
noch nicht beachtet haben!

Jedermann kennt aus dem Homer die Schilderung von dem gött-
lichen Liebesabenteuer nnter dem Netz. Es ist kein Grnnd anzunehmen,
daß die Znhörerschaft des alten Sängers von Anfang an eine gottes-
leugnerische war, wie kam's, daß die Darstellung sie nicht verletzte?
Daß man darin keine entwürdigende Verspottung religiöser Einrich-
tungen, kein Jndenstaubziehen von Hochheiligem sah?

Die komische Wirkung entsteht bekanntlich nnter gewissen Vor-
anssetzungen dort, wo die Form in einem schlagenden Gegensatze zur
Sache empfunden wird. Jn mcinem Zimmer (ich schreibe diese Zeilen
im Gasthaus) stehen auf der Spiegelkonsole mit richtigen Schnür-
senkeln zwei porzellanene Damenstiefel, die, als Vasen,
künstliche Maiblumen tragen. Der Besitzer ist stolz darauf, denn
er empfindet keinen Kontrast, ich empfinde einen, und so mnß ich
über die Dinger lachen. Bei aller unfreiwilligen Komik geht's ähnlich,
ob wir uns der Ritterrüstung bei Kommerzienrats freuen, der blecher-
nen Tempelakroterieen auf einem Güterschuppen oder des 8 ? H R auf
dem Straßenkot-Abfuhrwagen der Stadt Rom. Oder auch meinet-
wegen: der Riesentanne sreuen, die der Dichter aus Nordlands Fichten-

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