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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1905)
DOI Artikel:
Vogel, Max Alfred: Gedichte in der Volksschule, [1]
DOI Artikel:
Grunsky, Karl: Klaviermusik und musikalische Bildung, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0094

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aus. Da ahnen die Kinder Dinge, die sie noch nicht verstehen können;
da wird ein Gefühlsleben in ihnen rege, das dnrch die klarsten Be-
griffe nie wachgerufen werden kann.

Vor allem: Es bildet sich in den Kindern mit der Fähigkeit
auch der leise, aber immer stärker werdende Zwang zu schauen.
Sie können schließlich gar nicht anders, als hinter Worten auch etwas
schauen zu wollen. Was damit für die sprachlich-künstlerische Kultur
gewonnen ist, brauche ich am wenigsten den Kunstwartlesern auseinan-
derzusetzen. Max Alfred vogel

(Weitere Beispiele solgen)

Rlavieinnusik unci musikaliseke kilclung 2*

Man könnte die Versäumnisse unserer Klavierspieler, denen die
besondere Literatur sürs Jnstrument ein und alles ist, vielleicht milder
beurteilen, wenn dieses Schristtum wirklich in seiner vollen Aus-
dehnung gepflegt würde. Noch immer behauptet die Zeit und der
Geschmack Schumanns, Chopins und Mendelssohns einen unverhält-
nismäßigen Vorrang; von Chopin werden noch dazu die klaren und
krästigen Gebilde der Tänze ins Hintertressen gestellt. Liszt gewinnt
nur mit der virtuosen Klaviermusik Geltung. Die Programme der
allermeisten Klavierabende, Prüfungskonzerte und hüuslichen Dar-
bietungen bestütigen diese Geschmacksrichtung. Wir müssen der Tat-
sache ins Auge sehen, daß in unserm Musiktreiben eine ausrichtige
Liebe zu Beethoven, ein lebendiges Verhältnis zu Mozart, eine über-
zeugte Begeisterung für Bach Ausnahmen sind. Pessimistisch brauchen
wir darum nicht zu werden: das unöffentliche, ja einsame Musizieren
der wahren, stillen Musikfreunde hat viel mehr Wert und wirkt zu-
letzt auch mehr nach außen, als was mit Vorliebe der Oeffentlichkeit
zustrebt. Solange sreilich jene drei alten Meister als langweilig gel-
ten — das sinnlose Schlagwort von klassischer Objektivität hat viel
Schaden angerichtet — solange ist wohl keine Hofsnung, die herrlichen
Schätze der Froberger, Couperin, Rameau, D. Scarlatti und so vieler
anderer der konzertmäßigen oder häuslichen Musikpflege einzuver-
leiben. Auch hat die einseitige Bevorzugung der Schumannschen Epoche
— der in größerem Zusammenhange niemand ihren Wert bestritte —
eine unheilvolle Gleichgültigkeit gegen die gute neueste Hervorbringung
zur Folge; von wem soll sich das Publikum führen lassen, wenn es
sich der heutigen Klaviermusik bemächtigen will?

Den meiften Musikschulen und Privatlehrern des Klavierspiels
kann der Vorwurf nicht erspart werden, daß sie auf den äußern, nn-
echten Glanz hinarbeiten; das Fingertechnische, und zwar die beson-
dere Art, die sich Geläusigkeit nennt, raubt sür andere als „dank-
bare" Klaviermusik Zeit und Lust. Die Notwendigkeit des öffent-
lichen oder halböfsentlichen Austretens richtet den Sinn des Lernen-
den zu früh daraus, was gefalle, was bei geringster Mühe den größten
Eindruck mache. Als geheimste Triebfeder wirkt in dem Spieler nicht
etwa der Drang künstlerischer Mitteilung, sondern die Sucht, das

* Vgl. Kw. XVIII, 3.



2. Aprilheft sftOb

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