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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 15 (1. Maiheft 1905)
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Gregori, Ferdinand: Schiller und die Bühne von heute
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0164

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Weil seine Werke sich durch Liebe erobern lassen, ist er der
Freund des Volkes geworden. Der Schulknabe jauchzt ihm als dem
Führer zur Freiheit entgegen, dem Greise leuchten die Augen, wenn er
Schiller, den reinen Menschen, unverkennbar aus jeder Zeile der Dramen
und Gedichte, der philosophischen Schristen und der Briefe heraus-
schauen sühlt. Iünglinge und Männer aber haben ihn auf Zeiten
zu „überwinden" geglaubt. Jn der Altersepoche nämlich, wo die Phan-
tasie sich verschämt hinter dem Verstande versteckt, wo der sicher be-
obachtende Blick, der aus der Umwelt ruht, als höchstes Lebensgut
gilt, füngt man an, den großen Schwaben zu verkennen. Gewiß,
die kühle Berechnung jedes Satzes im Drama, die Jbsen in so wunder-
barer Weise eignet, war nicht Schillers Art, ob er auch seine hohen
Gebäude in den hauptsächlichsten Grund- und Aufrißlinien mit Weis-
heit festlegte; und seine Menschen standen meist so hoch über den
Geschöpfen der Straße, daß er die feinsten realistischen Einzelzüge
Gerhart Hauptmanns nie hätte verwenden dürfen. Aber liegt hier
wirklich ein Mangel vor? Jch meine, wer unferm Dichter mit solchen
Vorwürfen nahetritt, verlangt vom Faust, daß er Mephisto sei, sucht
im Tasso den Antonio. Daß Schiller vermöge seiner Phantasie und
seines reinen Menschentums, also zweier Gaben, die den guten Bürger
nur zum Lachen reizen, der Abgott auch dieses guten Bürgers geworden
ist, erscheint mir als der klarste Beweis für die Gewalt seiner Per-
sönlichkeit.

Die Deutsche Bühne kennt keinen stürkeren Helden als ihn, den
engbrüstigen Mann, der der Welt im sechsundvierzigsten Lebensjahre
entrissen wurde. Nun ja, Oskar Blumenthal hat es vermocht, mit
dem „Weißen Nößl" und ähnlichen Schwänken l.692 Abende zu füllen,
während es Schiller in derfelben Spielzeit (VOO—j90j) nur auf
W2 brachte; aber ist das nicht schon ein herrliches Ergebnis,
wenn wir bedenken, daß Schillers Mund seit j805 geschlossen ist!
Und wie ganz anders sähe das Verhältnis aus, wenn unsere Theater-
leiter für den Großen nur halb so viel täten wie für den Kleinen.
Der Ruhm der neun Dramen, von den „Räubern" bis zum „Tell",
ist langsam ins Riesenhafte gewachsen. Wie schnell dagegen die Ein-
nahmen des „Weißen Rößls" gesunken sind, will ich nicht erörtern.
Und womit hatte sein Drama zu kämpfen? Aber nicht der Frivolitüt
schamloser Direktoren noch auch dem Unverstande töricht-eitler Schau-
spieler ist es jemals gelungen, den jubelnden Beifall der Menge auf-
zuhalten; der Dichter triumphierte den lücherlichsten Dekorationen und
Kostümen zum Trotz und ohne an dem sinnlosen Gebrülle markt-
schreierischer Gaukler Schaden zu nehmen.

Unter den Schauspielern sind die besten ihm von wenigen Schwan-
kungen abgesehen treu ergeben gcwesen. Der große Schröder, der
Schöpfer einer vornehm-realistischen Kunst, erblickte in Schiller einmal
einen Feind, weil die eben erst mühsam erlernte Schlichtheit der
Charakterdarstelluyg Gefahr lief, durch das Pathos des „Don Earlos"
wieder verdrüngt zu werden. Aber er fürchtete nicht für fich, sondern
nur für mindere Genofsen, die nicht imstande waren, Lohensteinschen

b rnaihest t905 ,27
 
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