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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 18 (2. Juniheft 1905)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0348

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nur gewesen, um sich gegenseitig zn verspersen. Selbst die hintersten An-
fänge menschlicher Kunst knüpfen noch an irgend eine Handhabe an. Der
Sturm knickt den Eichbaum. Ratlos sieht der Mensch ihn daliegen. Da sagt
der Baum zuni Menschen: „Höhl' mich aus, so hast du einen Nachen und
kannst auf dem Wasser schwimmen." „Auf dem Wasser schwimmen möcht'
ich wohl," denkt der Mensch, „aber wie soll ich den Stamm höhlen?" Da
gewahrt er unter den Steinen, die am Ufer liegen, einen, der hat ein dickes,
stumpfes Ende, gerade recht, die Faust darum zu schließen, aber nach vorn
wird der Stein flach unü breit und läuft in einen scharfen Rand aus.
Und als der Mensch den Stein eine zeitlang angestarrt hat, sagt diefer
plötzlich zu ihm: „Nimm mich doch zur Axt, dann will ich dir das Holz
ausschneiden." So kam der Mensch zu einer Axt und durch die Axt zu einem
Nachen.

Aber sind denn Werkzeuge das Letzte, Höchste? Der schwarze hohe
sechsflächige Fels, der mitten im Gehölz der Seeau lag — daß es ein Find-
ling war, ein granitener, zurückgelassener Zeuge der Eiszeit mitten in
Kalk und Nagelfluh, das hatten jene Urbauern natürlich nicht gewußt.
Und doch fuhren sie alljährlich im Mai hinüber und nahmen ihn zu ihrem
Göttertisch, ließen das Blut eines jungen Stieres durch seine Ninne laufen,
stellten über ihm ihre Bierkufe auf und tranken Wodans und Freyas Minne.
Bis eines Tages ein fremdbemanntes Boot zwischen ihren Kähnen anlegte.
Es brachte keine Feinde; nur den holzgeschnitzten Gott schlugen sie in Stücke
nnd stellten andere Bilder auf. Der Legende zufolge hieß der Gottesbote
des Seegeländes Sankt Leugelt. Ueber feinem Grab auf der Seeau erhob
sich das älteste und jahrhundertelang einzige Heiligtum der Gegend. Die
nämliche Kapelle, die noch heute mit ihrem allerdings neuern Ziegeldach
durchs Land leuchtet. Hierher zogen sie von überall zur Messe, und das
ganze Mittelalter hindurch stand diese Wallfahrt unter großem Zuspruch
in Blüte. Nur daß dann bei dev wachsenden Besiedelung der Ufer das
Tochterkloster in Neuenach der Jnselheimat bald über den Kopf wuchs und
dieses sich noch fo gern unter desfen Botmäßigkeit begab, wie eine verständige
Mutter, die froh ist, nun die andsrn machen zu lassen.

Seit der Verwandelung des geistlichen Stiftes in eine gemeinnützige
Anstalt bildete die Seeau das ansehnlichste Besitztum des Spitalgutes und
als solches auch das eigentliche Kleiuod seeauf und -ab, auf das man hüben
stolz und drüben neidisch war. Jhre Pacht stand hoch im Preise und galt
auch so noch als Vergünstigung, da sie niemals nur dem ersten besten Lieb-
haber, sondern nur einem wirklich verdienten und bewährten Manne zuge-
schlagen wurde. Dieser PLchter hatte den einen großen Tag im Jahr, den
Leugeltstag, der auf Anfang Mai fiel und, wiewohl seiner kirchlichen Be-
deutung verlustig, noch durchaus im Maßstab der einst hier geübten Volks-
messe begangen wurde. Der erschwerten Zufuhr übers Wasser wegen kam
es nie zu einem eigentlichen Jahrmarkt; doch fehlte es nicht gänzlich an
Kaufbuden und immer standen auch etliche schöne Haupt Vieh feil, meistens
aus den Ställen des Pächters selbst. Seit unvordenklichen Zeiten spielte
sich das Fest in zwei Schaustellungen ab: einem Eierlausen in der langen
Allee, die sich von der Kapelle zum Pachthause hinzog, und einem Wett-
schwingen auf der Waldwiese um den Heidenstein. Der erratifche Block,

der einen sanften Hügel krönte, bildete die natürliche Kanzel für ein Preis-
gericht. — — — — — — — — — — — —

298 Runstwart XVIII, 18
 
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