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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 21 (1. Augustheft 1905)
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Hagemann, Carl: Aufgaben des modernen Theaters, 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0524

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zuin Drama ausgestaltet und in einem einheitlichen Darstellungsstile
vorgeführt werden, sind nur unter ganz besonderen Bedingungen
möglich: nnr wenn eine geschlossene Volkheit mit einem geschlossenen
sittlichen und kulturellen Bewußtsein vorhanden ist. Die Griechen
hatten ein Nationaltheater in diesem Sinne, die Römer schon nicht
mehr. Später brachte man es dann noch einmal in Spanien dahin,
als für kurze Zeit politische, religiöse und künstlerische Machtfaktoren
zusammentrafen (Calderon, Lope de Vega, Moreto) und in England,
das unter der Königin Elisabeth das Theater der deutschen Re-
naissance beherbergte (Shakespere). Unsere Kultur aber zeigt von
alledem nichts. Heute gibt es nicht nur ein ausgewähltes Kultur-
volk im Gegensatz zu Barbaren oder doch zu weiter Zurückgebliebenen.
Heute gibt es Kultur v ö l k e r, die sich ständig im Wettkamps mit-
einander befinden, die nebeneinander stehen — die aber auch an-
einander abgeben, die sich gegenseitig beeinflussen. Von einer Geschlos-
senheit der Nation in engerem Sinne, wie sie früher bestand, ist
da keine Rede mehr. Das Jnteresse für Weltkultur, sür Sitten und
Gebräuche und nicht zuletzt für die Kunst auch der anderen Völker
nimmt zu. Heute gibt es keine kulturelle Hegemonie als Ganzes
mehr. Heute verteilt sich die Vorherrschast in den einzelnen Kunst-
zweigen auf die einzelnen Völker: da liefert Deutschland die Musiker,
Frankreich die Maler und Bildhauer, Jtalien die Schauspieler, Eng-
land die Wohnungskünstler. Deutschland ist die Wiege der modernen
Lyrik, Frankreich die der Prosaskizze und Skandinavien die des
modernen Dramas. Paris liesert die besten Bronzen, Kopenhagen
das beste Porzellan und London die geschmackvollsten Herren-Artikel.
Aus Wien bezieht man die Operetten-Dirigenten, aus Paris die
Oonksrsnoisrs und aus New-Aork die Konzert- und Theater-Agenten.
Jn Paris spielt man heute Wagner häufiger als irgend einen an-
deren Opernkomponisten, in London und St. Petersburg sind stehende
deutsche Theater, und in Berlin genießt Leoncavallo die Gastfreund-
schaft des Kaisers. Erst durch die Arbeit des deutschen Theaters
wurde Jbsens Ruf europäisch begründet, und den Straußischen Walzer
spielt man heute in der ganzen Welt. Unter diesen Umständen bleibt
ein Harzer Bergtheater eine Spezialität, und zwar eine archaistische
Spezialität, die nur einen ganz kleinen Kreis von Liebhabern finden
kann, wie doch wohl der Kassenausweis im letzten Sommer bestätigte.

Das moderne deutsche Kulturtheater hat viel weitere Aufgaben,
die allerdings auch auf nationaler Grundlage ruhen. Unsere Schau-
bühne muß insofern durchaus national sein und immerdar bleiben,
als deutsche Schauspieler sür deutsche Zuschauer deutsche dramatische
Dichtungen — neben den besten des Auslandes — darzustellen haben:
das heißt mit den Mitteln und Eigenschaften, die unserem Stamme
eigen sind. Wir Deutschen sind nun aber keine Schauspieler-Nation
und werden schon deshalb die theatralische Wirkung niemals auf reine
Schauspieler-Leistungen aufbauen können. Unser Sinn für die Ge-
samtheit der künstlerischen Erscheinung, unser Anspruch auf Erschöp-
fung ihres letzten Gehaltes läßt uns nach einer Bühnenkunst
verlangen. Diese Bühnenkunst, die alle übrigen Mnste und Kunst-
arten zu ganz bestimmten, oft kleinen und oft ganz großen Dienst-

H56 Runstrvart XVIII, 21
 
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