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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1905)
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Häfker, Hermann: Die " kleine Presse"
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0592

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die dem Geschrei der großen Märkte fern wohnen, ihre geistige Nah-
rung beziehen. Grade bei der kleinen Presse kann planrnäßige
Arbeit am besten gebraucht werden, ist sie am notwendigsten, ist aber
auch die Hoffnnng auf reiche Frucht am größten.

Eine Zeitung kann ein Werk der „großen Knnst" sein, der „Per-
sönlichkeitskunst", so gut wie der bescheideneren „angewandten", der
Handwerkskunst. Die „großen" Zeitungen — ich denke dabei an Blätter,
auch an kleinere, die in den großen Städten erscheinen, während ich mit
der „kleinen" Presse die Blätter in den kleineren und kleinen Stadt-
und Landorten meine —, die großen Zeitungen sind in ihren Zielen und
ihrer Haltung abhängig von mannigfaltig besonderen Verhältnissen. Jn
ihnen versuchen sich literarische und journalistische Persönlichkeiten, und
manchmal schon zeigen sich hier und da an ihnen Merkmale künstlerifcher
Aufrichtigkeit und Echtheit im besonderen Sinne der Großstadt-
verhältnisse. Anders ist es mit den kleinen Zeitungen. Jm Ein-
klang mit der ruhigen Umgebung, in der sie gedeihen, kommt auch
in ihnen die Gleichmäßigkeit, die Regel eher zu Ehren. Leise zieht
sie derselbe Gärtnergeist in seinen Bann, der den Landmann regiert,
und den Goethe so zu preisen weiß:

„Nichl verändert sich ihm in jedem Zahre der Boden,

Nicht streckt eilig der Baum, der neugepsianzte, die Arme
Gegen den ksimmel aus, mit reichlichen Blüten gezieret.

Nein, der Mann bedarf der Geduld; er bcdarf auch des reinen

Immer gleichen, ruhigen Sinns und des graden verstandes.

Glücklich, wem die Natur ein so gestimmtes Gemüt gabl"

Und nun nehme man gleich noch ein Wort unsres Schiller dazu,
das im Schillerhefte des Kunstwarts stand (S. M):

„Von Schönheit oder Kunstgefühl sich regieren lassen, ift ja
nichts anderes, als den Hang haben, alles ganz zu machen, alles
zur Vollendung zu bringen."

„Von Schönheit oder Kunstgefühl sich regieren lassen" —
nichts mehr und nichts weniger will die „ästhetische Kultur", nichts
mehr und nichts weniger wollen auch wir, wenn wir selbst an den
kleinsten Zeitungsmann die Forderung stellen, daß er sein Tagewerk
zu einem Stück Kunst nach seinen eignen, seinen „heimischen" Be-
dürfnissen, zu einem Stück Heimatskunst gestalte im weiteren
Sinne, nicht dem Stofse wohl aber dem Gehalt nach. Wieviel
Zeitungen aber von den ungeführ fünftausend (oder mehr), die in
deutschen Gauen allwöchentlich mehrmals ihre Trommel rühren, dürfen
von sich sagen, daß sie im Sinne dieser Heimatkunst ein „Ganzes",
Abgeschlossenes, in sich Vollendetes sind? Wieviele zeigen auch nur
Ansätze dazu?

Jst nicht meistens die Dorf- und Kleinstadtzeitung ein Harlekin,
eine Art unfreiwilliger Hanswurst in einem Kleide, das aus ein
paar Dutzend unzusammengehörigen Flicken zusammengesetzt ist, und
das in dieser lumpenhaften Buntscheckigkeit seine unerreichbaren Vor-
bilder, die „großen" Zeitungen, nachahmen will? Die Großstadt-
Zeitung, reich und mächtig, immer auf die letzte Tagesmode ge-
stimmt, ist zusammengesetzt aus vielen anspruchsoollen Teilen. Da



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