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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 23 (1. Septemberheft 1905)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0663

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dem Leibe zu Grunde geht! mit anzusehen, wie das Alter ohne Ruhe,
die Jugend ohne Hosfnung, die Kindheit ohne Freude ist! wie alle in
verpesteten Löchern zusammengedrängt leben und die einen ihre glücklicheren
Genossen um den nur zu geringen Lohn für eine Arbeit beneiden, die der
Ueppigkeit und dem Müßiggang zum Schmucke dient! O grausamer Hohn
des Schicksals! Er, der nicht weiß, wo er sein Haupt hinlegen soll, arbeitet
mit seiuen Händen die kostbarsten Stosse, webt die pomphaften Gewebe,
hinteö denen der verweichlichte Reiche schläft; er, der nicht die Lumpen
besitzt, seine Blößen zu decken, webt den Goldbrokat, der Königinnen schmückt,
und diese Kinder, für die ihre Mutter nie ein Lächeln hat, steheu gebückt
vor dem Rahmen und solgen mit trüben Augen den unter ihren Fingern
eutstehenden Arabesken und Blumen, die den Kindern der Großen der Erde
zum Spielzeug dienen sollen. — Gleich einem Arzt, der seinen Kranken
zu retten glaubt, wenn er seine Pestbeulen nach innen treibt, schmeichelt
sich die Gesellschaft, diese tiefen Wunden durch Palliativmittel, die nur
die Oberfläche berühren, heilen zu können. Die, welche das Schicksal der
Nationen in Händen haben, vergessen nur zu leicht, daß Ergebung nicht
lange die Tugend der Masse bleiben kann unü daß, wenn das Volk lange
geseuszt hat, man es plötzlich brüllen hören wird. Was wird die Kunst,
was wird der Künstler in solchen schlimmen Tagen tun? Dann wäre sür
sie die Stunde gekommen, den Mut der Schwachen aufzurichten und die
Leiden der Unterdrückten zu lindern! Die Kunst muß dem Volk die schöne
Hingabe, die Heroischen Entschlüsse, die Humanität, sich selbst ins Gedächtnis
zurückrusen! Vor allem muß Licht, vou allen Seiten kommend, in seinen
Geist eindringen und, damit es auch den Wert des Lebens kennen lerne,
müssen die süßen Freuden der Künste sich um seinen Herd sammeln! s

(Reisebriefe (835—40; II.)

(Am Rande.) Schuhe und Kleider werden getragen; Musik aber
ist oft nicht zu gebrauchen! Auch ist man ziemlich einig über gute
Schuhe und gute Kleider, während es sich anders in der Musik ver-
hält uud nur Wenige etwas Gutes darin su-chen. „Jhr habet Ohren
und höret nicht" wäre beiläufig gesagt keine unpassende Jnschrist für
Konzertsäle! (An GiLe.)

Schwierigkeiten sind notwendig — um sie zu überwinden!

(An Wagner.)

Was tut's, wenn die Anderen unsere Sache schlecht machen, wenn wir
sie nur gut machen. (An Wagner.)

Es gibt kein besseres Zeichen für die innerliche Gesundheit als has
Ausgelegtsein zur Lösung unserer täglichen Aufgaben — nach bestem Können
und hie und da mit ein wenig srohem Uebermut! (An Bülow.)

Wie es auch 'zugehen mag, laßt Euch nie auf Kapitulationen ein,mit
den Faulen, Feigen und Falschen, so hochstehend sie sich auch geberden!

(An Klindworth.)

Der Mut ist der Lelbensnerv aller unserer besten Eigenschasten; sie ver-
kümmern ohne ihn; ohne Mut ist man nicht einmal genügend klug. Prüfen,
nachdenken, berechnen, wägen sind wichtige Handlungen, ganz sicher. Aber
dann heißt's: sich entscheiden und handelu ohne viel umzuschauen, woher
der Wind weht und welcherlei Wolken vorüberziehen! (An Pohl.)



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