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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1905)
DOI Artikel:
Weber, Leopold: Die Kunst dem Volke?
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0686

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Ore Nrmst clem Volke?

„Wer von einer Kunst fürs Volk redet, ist ein Phrasendrescher oder
ein Schwachkops, meist aber beides."

„Die Kunst dem Volke! nur schwachherzige und fischblütige Aestheten-
herzen verkennen diese ihre innerste Wesensbestimmung."

Sprachen's und zielten jeder aus etwas andres, ohne es zu merken,
denn stolze Geister dieser Art verschmähen es zumeist, ihre eigenen Worte
in schulmeisterlicher Pedanterie zu wägen, ob sie denn auch wirklich dem
entsprechen, was sie sagen sollen. Was versteht denn hier der eine unter
Volk und was der andre? Die Nation als Ganzes? Oder die niedern
Stände? Oder die Masse, die Plebs in allen Schichten der Gesellschaftd
Oder aber, im Sinne Richard Wagners, die Summe aller entwickelungs-
fähigen Elemente in der Nation? Klingen nicht am Ende die beiden
scheinbar so heftig auseinanderstrebenden Aeußerungen ganz harmonisch
zusammen, wenn sie das, was sie als Volk annehmen, näher bezeichnen:
Ein Narr, wer glaubt, die Kunst dem tiefern Verständnis einer Menge
Minderwertiger, einer Masse näherzubringen — ein Narr aber auch,
wer meint, sie finde nicht Empsängliche in allen Schichten der
Nationl

Freilich haben wir aus diesem Einigungswege statt zweier tempera-
mentvoller Ergüsse nur eine ganz platte Selbstverständlichkeit erlangt.
Und ist es nicht wieder eine ganz ersichtliche Selbstverständlichkeit, wenn
wir weiter schließen, daß damit das Verbreiten von Kunst unter die
Masse gerechtfertigt sei; denn wie, wenn nicht auf diesem Umwege, können
wir zu den überallhin verstreuten Einzelpersönlichkeiten der Gemein-
schaft, des Volkes in tieferem Sinne gelangen? Dennoch, der Augen-
schein lehrt's, geht es allerhand Leuten durchaus wider den Strich, wenn
sie von dieser Berechtigung Gebrauch machen sehn. Da sind jene „Vor-
nehmen", die meinen, ihr Heiliges nur im Winkel heilig erhalten zu können,
und denen alle Oeffentlichkeit an sich so greulich ist, wie dem Stuben-
pflänzchen der sreie Wind. Da sind dio Fanatiker der Passivität, die
jede entschlossene Willensregung im Menschen als „Unnatur" verab-
scheun und ihr Jdeal darin erblicken, daß er ohne jedes eigne Dazutun
wie eine Pflanze vegetiere, als lebte in seinem „Wollen" nicht auch die
Natur. Aber auch Leute, die weder mit beschränkter Vornehmtuerei noch
mit kleinlich verzerrtem Naturgötzentum etwas zu schaffen haben,
„ernstere" Leute, die nicht nur über heißes Wollen, sondern auch über
krästiges Können verfügen, Leute von Geist, ja selbst von ungewöhn-
lichem Geist, auch sie gesellen sich hin und wieder zu den Gegnern allen

2. Sextemberhest t905 605
 
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