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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1905)
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Krug, Wilhelm Walther: Pastor Keller
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0691

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Vrslor Reller*

Jn diesen Blättern nahm ich schon kürzlich die Gelegenheit wahr, um
über den bekannten Pastor und Evangelisten Samuel Keller (Ernst Schrill)
als Schriststeller andeutend einiges zu sagen. Der Fall ist indessen dazu
angetan, gründlicher abgehandelt zu werden. Denn einmal verlangt Keller
selbst literarisch gewürdigt zu werden; er blickt aus die Durchschnittsware
der religiösen Literatur verächtlich herab, er will mit seinen Erzählungen,
Novellen, Romanen Bücher geben, die auch dem literarisch und künstlerisch
gebildeten Geschmack genügen. Sodann ist ihm die literarische Würdigung
auch tatsächlich schon zuteil geworden; er hat Herolde gefunden, die ihn,
man darf schon sagen: ausposaunten als einen der ersten lebenden Dichter.
Jst es da nicht Pslicht des Kunstwarts, zu untersuchen?

Keller hat viel geschrieben und es ist einigermaßen mißlich, sich im
Rahmen eines Zeitschriftenaufsatzes mit ihm auseinanderzusetzen. Jch ver-
einfache daher die Arbeit nach Möglichkeit und suche die drei Fragen zu
beantworten: Wie findet sich Keller mit einer Komposition als einem
Ganzen ab? — Wie findet er sich mit den Charakteren und Episoden ab? —
Wie mit dem Stil (als Satz- und Wortstil verstanden)?

Zur Beantwortung der ersten Frage kurz ein Paar Jnhaltsangaöen.
Einer zieht mit seiner jungen Frau auf das Gut seiner Väter. Die Frau hat
Launen und liebt das Leben auf dem Gute nicht. Der Mann ist ungeduldig.
Beide sind ungläubig. Folglich ist die Ehe unglücklich. Ferner hat es
den Anschein, als sei der Mann nicht treu. Folglich verläßt ihn
die Frau. Während ihrer Abwesenheit geschieht zweierlei: sie gebiert einen
Knaben, ihm brennt das Gut ab. Es kommt hinzu der kräftige Zuspruch
Frommer. Folglich werden sie gläubig. Der Mann kauft ein neues
Gut, das der Frau behagt. Folglich kehrt sie zu ihm zurück. Und
folglich ist die Geschichte zu Ende. („Sein Erbe", Roman.)

Oder: Ein Lehrerssohn muß nach dem Tode seines Vaters als Sekun-
daner das Gymnasium verlassen, wird gleich Hauslehrer in einer reichen
Familie, bildet sich dabei zum Salonhelden aus, verläßt die Stelle aus
äußerlichen Gründen, wird während einiger Wochen Nihilist (die Geschichte
spielt wie fast alle in Rußland), darauf Gutsverwalter, wirbt für den
Verwalter eines Nachbargutes um die Hand einer Erzieherin, schweren Her-
zens, da er in ihr ein junges Mädchen wiedererkennt, in das er sich
während eines Seeaufenthaltes früher einmal verliebt hat, wird davon
krank, kommt hierdurch und durch die Ermahnung eines Schafzüchters zur

* Der Aufsatz desselben Verfassers über „Christliche Literatur"
(Kw. LVUI, 20) hat so ungewöhnlich reges Ausmerken gefunden, daß wir
diese seine Ergänzung gegen unsre ursprüngliche Absicht schon jetzt drucken.
Sprechen wir auch dadurch über denselben Gegenstand binnen kurzer Zeit
etwas viel, so wird man doch gerade jetzt geneigter sein, der Frage auf
den Grund zu gehen. Und noch ein andrer Gedanke bestimmt uns. Krugs
Ausführungen werden manchen als eine Art von Uebungen im Beurteilen
von dichterischen Kunstwerken ganz allgemein interessieren und anregen, wir
meinen: über die Beurteilung der „christlichen" Literatur im besonderen
hinaus. Rw-L

Stv Runstwart XVIII, 2H
 
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