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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 24 (2. Septemberheft 1905)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0722

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Genzo: Er starb, ein Held. Es würde mutiger
Kein Mann dem Tod ins Auge sehn, als er.

Als ich das Schwert zog und ins Ohr ihm raunte,
Er müsse sterben, jetzo, auf der Stelle,

Da streckt' er freundlich lächelnd und gelassen
Den Hals aus, daß er meinen Streich empfinge.

Matsuo: O tapfres Kind! Mein trener, guter Sohn!

So starb, so treu ergeben, auch mein Bruder
Für seinen Herrn. Sie werden beide nun
Jn jener Welt ihr Wiedersehen feiern.

Und ihres Opfermutes Lohn genießen. (Schluchzend.)
Verzeiht mir, Genzo, wenn ich länger nicht

Der Tränen mich erwehre-

(Er weint; alle weinen mit ihm.)

8

W Von der begeisterten
Nüchternheit

Alles Leben ist in seinem Jnner-
sten unbegreiflich: wir fühlen es nur.
Daher läßt sicb aucki dies Jnnerste
nicht begrifflich erklären, sondern nur
als Ausdruck persönlichen Empfin-
dens geben, und die geistigen Er-
gebnisse dieses Empfindens können
als persönliche Lebensüberzeugungen
dem Verstande andrer nicht be-
wiesen, sondern nur in persönlicher
Begründung dem Gefühle übermittelt,
d. h. „anschaulich" gemacht werden.
Das ist selbstverständlich, gewiß. Wo-
her kommt es denn nun, daß trotzdem
selbst die Denker und Dichter, die
am lautesten gegen alles Erklären
und Erklärtwerden sich ereifern, in
der Tat so häusig in ein Erläutern
dürrster begrifflicher Art versallen,
kaum daß sie anheben, ihre Ueber-
zengungen in „freier" Weise zu ver-
künden oder zu singen? Wie kommt
es, datz etwa ein Whitman sofort in
ein „Formulieren" des Gesühls-
gehaltes seiner Gesünge gerät, wie
kommt es, daß der „flammende"
Dehmel seine Begeisterung in Defi-
nitionen gipfeln läßt? Wie kommr
es, daß selbst ein Emerson so oft
aucb die mystischen seiner Ueber- ^

zeugungen logiscb zu beweisen sucht?
Und daß mit ihm so viele unsrer
Essayisten von den großen „Buch-
propheten" an bis zu den kleinen
Feuilletonrednern demselben Miß-
geschick verfallen? Nicht daß icb micb
mit diesen Fragen gegen das Streben
nacb begrifflicher, nach abstrakter
Klarheit an sich wenden wollte; ge-
wiß kann selbst die trockenste Be-
grifflichkeit gleick dem Stabe Mosis
den tiefsten Quell des Lebens aus
dürrem Felsen schlagen, wie ja das
Grübeln Kants den kategorischen Jm-
perativ aufstieß. Wer aber die Be-
grifflichkeit nicht zum Bohren in die
Tiefen, sondern lediglicb zum Flicken
seiner Begeisterung verwendet: wer
immer noch begrifflich erläutert, auch
wenn er seiner Ueberzeugung selbst-
herrlichen Gefühlsausdruck geben will,
wer zu beweisen sucht, wo er zu
singen vorgibt, und wer sein Singen
dnrcb Beweise stützen zu können
glanbt, der widerspricht sicb selbst,
und indem er es tut, enthüllt er
mitten in seiner Begeisterung eine
Schwäche, eine Kleinheit und Nüch-
ternheit seines Empfindungslebens,
die sich umso deutlicher fühlbar macht,
je stärker die Begeisterung sich erhitzt.

L w

2. Sextemberheft (ZOö

6§1
 
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