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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1905)
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Batka, Richard: "Musikalisch"
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Lichtwark, Alfred: Die Verschiebung der deutschen Kulturzentren
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0090

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übrigen Künste auch, nnd diejenigen Musikanten bauen, was nicht
halten kann, die sich sür ihre Aesthetik ein Gerüst nach besonderen
statischen Gesetzen zurechtzimmern wollen. Musikalisch veranlagt ist
man ganz aus entsprechende Art, wie man dichterisch, malerisch oder
sonstwie künstlerisch begabt ist. Der Unterschied liegt nicht im Ge-
genstande, denn der ist letzten Endes bei jeder Kunst unsre innere
Welt, in deren Dnnkeln wir Menschen uns mit der Leuchte unsrer
Phantasie zurechtzufinden suchen. Der Unterschied liegt nnr im
Ausdrucksmittel. Richard Batka

vie Versckiebung cier cleulscken RuUurrentren*

Die dentsche Kunst hat im neunzehnten Jahrhundert unter Be-
dingungen anderer Art gelebt als die sranzösische oder die englische.

Frankreich und England besaßen seit Jahrhunderten ein Zen-
trum des nationalen Lebens, das alle oder doch die meisten schaf-
fenden Kräfte anzog. Wer als Künstler, Dichter oder Forscher dcn
Boden der Hauptstadt betrat, hatte die geistige Heimat gefundcn.
Was er schuf, enthielt nicht nnr das Aeußerste seiner eigenen Be-
gabung, sondern war obendrein gesteigert durch den Anschluß an
die in einem Punkt gesammelte geistige Kraft scines Volkes.

Jn Deutschland gab es für die bildende Kunst keinen solchen
Sammelpunkt des nationalen Lebens. Es wurden nicht an einem
Ort allc Kräfte zusammengezogen, wo sie in Neibung und Ringen
ihr Höchstes geben mußten. Hohe Kunst wurde unabhängig gepflegt
in fast einem Dutzend größerer und kleinerer Städte, deren jede
einen umfassenden Ausdruck des gesamten künstlerischen Vermögens
anstrebte.

Damit ist schon gcsagt, daß sich eine große Mannigfaltigkeit der
Lebensäußerungen bei einer sür den Durchschnitt geringeren ört-
lichen Kraftanspannung ergab, denn auch die materiellen Kräfte zer-
splittern sich.

Je nach ihrem Ursprung und den zur Verfügung stehenden
materiellen und geistigen Mitteln waren die deutschen Kunststädte
des neunzehnten Jahrhunderts untereinander sehr verschieden.

Jm Mittclalter und zur Reformationszeit, als es große deutsche
Kunst gab, waren ihre Zentren die großen Bürgerstädte von Köln,
Mainz, Ulm, Augsburg bis Nürnberg und nicht die unbedeutenden
Nesidenzen der Landesfürsten.

Die Kunst, die damals geschaffen wurde, trug einen kirchlichen
und in ihrer letzten Entwickelung einen bürgerlichen Charakter.
Fürstenkunst gab es im Grunde nicht oder nur als Anhängsel an
die bürgerliche. Das örtliche Wesen war sehr stark entwickelt, und
selbst die höchsten Begabungen wiesen alle Merkmale des Stammes
auf, in dessen Hauptstadt sie emporgewachsen waren.

Diese alten Stammeshauptstädte sind in der Kunst des ncun-
zehnten Jahrhunderts nicht wieder auf den Schauplatz getreten.

Zwischen der bürgerlichen Kultur der Reformationszeit und

* Aus dem cben bei Bruno Cassirer in Berlin erschienenen Bande „Der
Dentsche dcr Zukunft", das wir in der Rundschau dieses Hestes anzeigcn.

2. Gktoberheft >905 82
 
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