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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 3 (1. Novemberheft 1905)
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Avenarius, Ferdinand: "Gesund und darum trivial"
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Spitteler, Carl: Vom dichterischen Schaffen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0159

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ermöglicht? Und schätzen wir in ihm denn diesen Dichter allein?
Der Mensch, der sich vom Rekrutenausheben bis zum Niederschreiben
des Faust auf allen Tätigkeitsgebieten erprobte, dem alles bedeutend,
dem nichts „trivial" war, der, heimgekehrt von der Wanderung durch
Jahrhunderte, mit dem höchsten Ernst sich in seine Zeit versenkte
und mit Liebe ihr diente, dieser große Mensch verkörpert ja erst
die Gesamtvorstellung „Goethe". Wer davon nur die Teile in seiner
Hand hält, kann sich alles damit zurechtbeweisen, weil er ja nur
zu übersehen braucht, was vom Ganzen er weglegt. Wer das geistige
Band erfaßt hat, kann der mit Goethe irgend eine dauernde Flucht
aus dem Heute entschuldigen, und wär' es die zu Goethe selber?

Jch meine: wir alle fast, die wir uns mit den großen Auf-
gabeu der ästhetischen Kultur befassen, und ich nehme mich selber
wirklich nicht aus, wir alle fast betrachten sie noch zu wenig im
unmittelbaren Zusammenhange mit unserer Zeit. Genauer, wir be-
trachten noch lange nicht mit genügendem Ernst das Verständnis
unsrer Zeit als Vorbedingung für eine Beeinflussung unsrer Zeit.
Es hat Jahrzehnte gegeben, in deuen wir unsrer Teilnahme nur
das würdig hielten, was als „hohe Kunst" mit dem Leben in keinem
prattischen Zusammenhange stand. An dem furchtbaren Niedergange
der Kultur, der die Dörfer und Städte ganzer Gaue ästhetisch ver-
wüstete, und gegen dessen Folgen ein Jahrhundert zu kämpfen haben
wird, trug auch diese unsre „Vornehmheit" ein großes Stück Mit-
schuld. Nicht die einzige, nur die: daß die eingesetzten Sachwalter
beim Prozesse zu aller Vergewaltigung ihrer Schutzbefohlenen schwie-
gen. Sie schwiegen, weil sie die Gefahr nicht sahen. Sie schwiegeu,
weil sie im praktischen Leben nicht Bescheid wußten. Weil sie sich
um die volkswirtschaftlichen Bedingungen dessen, was ist uud was
wird, nicht gekümmert hatten. Noch um dic technischen oder politischen
oder sozialen Borgänge, um all das überhaupt, wovon das Ver-
steheu der Erscheinungen und damit das Beeinflussen der Dinge
abhängt. Als ich das einmal einem Schriftsteller dieser Generation
vvrhielt, antwortete er mir in vollem Ernst: „ach was, da handelt
sich's nur um praktische Fragen". Freilich, aber immerhin um nicht
ganz gleichgültige, nämlich um die: wie mau nach Menschenmöglich-
keit Jdeale verwirklichen kann. A

Vorn ckickteriscken 8ckaffen*
i. fleitz «nä bingebung

Die Unentbehrlichkeit energischer Arbeit nach der Eingebung
braucht nicht mehr bewiesen zu werdcn, da nur Kinder und Kindes-
kinder heutzutage noch glauben, Knnstwerke kämen einem fertig in
die Feder geflogen. Jch möchte jedoch hier darauf aufmerksam macheu,
daß der Fleiß auch als Vorarbeiter und Bahnbrecher der Jnspi-

* Dicse beiden Aussätze sind gleich dcn meisten Karl Spittelers zuerst
im Kunstwart crschienen — wir drucken sic also heute zum zweitcn Mal.
Dürsen wir das? Es sind fünfzehn Jahre und mehr scit damals verflossen,
und tvir könntcn aus den Verlagsbüchern nachweisen, daß noch tiicht der

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