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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 3 (1. Novemberheft 1905)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0178

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eignet sich Lamprechts Aufsatz vortrefflich — er ist nicht leicht zu lesen,
aber wer ihn verstanden hat, der hat einen Gipfel erstiegen, dessen Aussicht
nicht bloß an sich erfreulich ist, sondern auch über seinen Weg und —
über anderer Leute Wege überraschend klärende Ausknnft gibt.

Karl Lamprecht darf heute wohl als der umstrittenste deutschc Histo-
riker gelten. Als vor drei Jahrcn dcr erste Ergänzungsband zu seiner
Deutschen Geschichte erschien, der das Geistesleben der jüngsten Vergangen-
heit aus ihrer Kunst zu ergründen und zu schildern versuchte, fühlten auch
wir uns nicht nur zum Zustimmen sondern auch zum Bestreiten angeregt.
Aber jedenfalls so stark und nachhaltig angeregt wie von keinem andern
Vcrsuche geschichtlichcr Gesamtbetrachtung der neucreu deutschen Kunst und
Kultur. Lamprccht hat inzwischen einen weiteren Ergänzungsband in zwei
starken Hälften hcrausgcgeben. Aus der ersten Hälfte, in der das Wirt-
schaftsleben und die soziale Entwicklung der jüngsten deutschen Vergangen-
heit behandelt werden, entnehmen wir dcn nachstehenden Abschnitt. Es
gibt, scheint uns, für weitere Kreise kaum eine bessere Probe für Lamprechts
Art, aus feinen Einzelheiten cine typische Zeiterscheinung darzustellen, als
dieses Kapitel über die frcie Unternehmung sie bietet. Die Kunst der Dar-
stellung — wohl darf man hier von ihr sprcchen — macht uns fast ver-
gessen, dast wir auch in dicscn so richtig beobachtetcn und klug vcrknüpften
Tatsachen doch letzten Endes nur eine psychologischc W a h r s ch c i n l i ch -
keitsrechnung vor uns haben, die vielleicht einer anderen Generation
unhaltbar erscheinen wird. Und wenn dem so werden sollte, man würde
auch dann noch die Kraft zu ehrcn und ihr zu danken haben, die aus dem
lärmenden Dunkel verwirrend naher Jahre neue Entwicklungsproblemc des
geistigen Gebietes klar herauSgelvst und überaus fesselnd bcschricben hat.

Lamprcchts „Deutsche Geschichtc" und ihre Ergänzungsbände sind in
dcm Verlage von Hermann Heyfelder zu F-reiburg i. B. erschienen.

*

s. Der dentsche Großkaufmann des j8. Jahrhunderts und der ersten
Hälfte des ss». Jahrhunderts, der am ehcsten noch als Vorgänger der modernen
industriellen, kommerziellen und sinanziellen Schichten der Unternehmnng
anznsprechci ist, war, von verhältnismäßig seltenen Ausnahmen abgesehen,
ein behäbiger Herr; mit gerötcten Wangcn sah er unter seiner Perücke oder
aus seinen Vatermördern in die Welt; jovial, behaglich, seiner Stcllung und
dcr Anerkennung seines Berufes, der in der Dichtung der Zeit so vft ge-
priesenen „Handlung", sicher. Denn in festen Schranken bewegte sich im
allgemeincn das Geschäft, dessen „Kaufherr" er war; mit sicheren Regeln
des Gebarens gegenüber den Kunden war es durch die Entwicklung jahr-
hundertealter Sitten, mit genauer Abgrenzung gegcn Konknrrenz Einheimischer
wie Fremder war es vom Staate hcr ausgestattet; nionopolartig sast be-
hcrrschte es den Kundenkreis, sern der hastenden Ausbciitung im Sinne
unserer Zeit, im ganzen getragen noch von dem Jdeale ruhiger Lebens-
haltung und wohlanstehcndeii Gewinns. Freilich: der Zeit selbst galt ein
solches Geschäft schon als aufrcgend; ihr Jdeal eincr bürgerlichcn Existenz
war einc noch viel weiter zurückliegende Entwicklungsstufe des Bürgcrtums,
die Stufe des Ackcrbürgers. Wie verherrlicht sie nicht Goethes „Hermaun
und Dorothea":

Kunstwart XIX, Z
 
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