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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1905)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0394

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Hilligenlei zu besehen. Auf der Höhe vor unserm Haus, da hielt er sein
kurzes, dickes Pferd an und sah aus das weite, weite Land hinunter, über
das hier und da noch die grauen Meereswogen liefen. Und sah die niedrige
Düne von Hilligenlei mit einigen breiten Strohhütten daranf, nnd sah die
Mauern der nenen Kirche, die er bauen ließ, mannshoch ragen. Aber er
wurde über dem, was er sah, nicht froh. Er war in jungen Jahren in
Engelland ein tapferer Streiter für seinen Glauben gewesen; aber nun
er ältlich wurde, konnte er Rohes und Unsertiges nicht mehr ansehen.

„Jn dem schweren, steinernen Hause, das die Priester sich im Schutz
der unfertigen Kirche gebaut hatten, fand er den Tisch gedeckt. Und der
Mehlbeutel, der aus dem Leinentuch in die Schüssel sprang, war größer
als sein großes, graues Haupt: und der Schnitt in den großen, großen
Schweinskopf war tief und schwer. Da setzte er sich hin und aß mächtig;
der Seewind, den er den ganzen Tag geschluckt hatte, hatte ihn hungrig
gemacht. Er löste den ledernen Leibgurt und aß weiter und hörte den
Priestern zu, die ihm von dem trägen, widerwilligen Volk erzählten; und
aß immerzu.

Am andern Morgen stand er auf und klagte, daß er schlecht ge-
schlafen hätte und daß er von wilden und wüsten Tränmen, als von bösen
Geistern, heimgesucht worden wäre. Er hätte Wesen gesehen, sagte er, die
hätten erschrecklich große, runde nnd weiße Köpfe gehabt, ohne allen Aus-
druck. Er war ganz ärgerlich; und ärgerlich ging er in die Kirche.

Da standen sie denn ja alle, so drei- oder vierhundert, Männer
und Frauen, in der unfertigen Kirche, mit den Füßen im weißgelben Dünen-
sand und über ihnen die freie Luft, und sahen andächtig nach dem grauen
Steintisch und hörten zu, was der heilige Mann in der fremden Sprache
sang und sagte. Es war sehr würdig und heimlich, und gesiel ihnen wohl.
Es kam dazu, daß der heilige Mann ein Gesicht hatte, das von starker,
fast wilder Männlichkeit sprach, von tapferen Taten und von schwergrabenden
Gedanken. Solche Leute hat man in diesem Lande immer gern gehabt,
besonders auch am Altar.

Danach aber trat der Bischof vom Steintisch weg zu ihnen heran
und ftng an, diesen und jenen nach dem Vaterunser zu fragen und nach
dem Glauben. Die Antworten waren spärlich, und der Bischof wurde wieder
ärgerlich.

Als er so fragend weiter in die Kirche hinein ging, da sah er zur
Linken an den zwei unfertigen Pfeilern einen langen, jungen Mann stehen,
mit langem, schlichtem, hellem Haar und ruhigem, starkem Gesicht; er trug
über dem wollenen Hemd eine Seehundstasche, aus einem einzigen Stück
gemacht.

Als der kleine Priester, der hinter dem Bischof einherging, diesen
Mann sah, sagte er leise und eifrig in lateinischer Sprache: „800 esb
usinus ksroeissiilluZ."

Der Bischof drehte sich um und sagte ärgerlich: ,„8iest mußt du
seggen, Broder," und trat an den Mann heran und sagte:

„Wie heet uns'n Heliand sien Moder, mien Söhn?"

„See schall Maria heeten hem," sagte er gemütlich.

Dcr Bischof ärgerte sich und fragte weiter: „Unn sien Vader, mien
Söhn?"

Er wußte, daß da ein Haken versteckt lag, und wagte nicht recht

^ 2. Dezcmbcrhsft OOö

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