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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,2.1906

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1906)
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Bonus, Arthur: Die Kultur der "guten Stube"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8629#0257

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Es gibt symbolische Gewohnheiten, Abneigungen, Parolen, die
weniger das meinen, was sie nennen, als daß sie ein gemeinschaftliches
Einverständnis herzustellen suchen oder eine andere Lebensauffassung
dokumentieren wollen. Wir schütteln den Kopf darüber, daß man in
alten Zeiten um einen Kelch Kriege führen konnte; aber unsere geistigen
Kriege werden nicht selten um gar nicht viel einleuchtendere Gegen-
stände gesührt.

Ein solcher Zug eröfsnet — sür jeden Kundigen bedeutsam
genug — Jbsens „Hedda Gabler", dieses wunderbar verzwickte Stück,
dessen Pointe darin liegt, daß zwei Lebensauffassungen, die ästheten-
mäßige und die moralisierende, sich sortwährend gegenseitig ironi-
sieren, und daß dennoch aus diesem Lustspielkonflikt eine Tragödie wird.

Hedda Gabler kann keine Ueberzüge auf den Möbeln leiden. Wie
sühlen wir da mit! Fast ist es jetzt kein Symbol mehr, aber wir ver-
stehen doch noch, wie gut es eine spießbürgerliche Moral traf, die alles
Beste sür einen Sonntag oder für Fremde bestimmte: gebraucht aber,
am Alltag gebraucht zu werden, nein, dazu ist die Schönheit und alles,
was zu ihr gehört, nicht da. Am Alltag soll man arbeiten, und ar-
beiten ist häßlich! Am Alltag soll man fasten. An Leib und an Seele.
Wie ein Schulvorsteher tatsächlich versicherte, man dürse den Kindern
das Lernen nicht zu leicht machen, sie müßten lernen, was arbeiten
ist — nämlich daß es eine Last ist!

Und so nehmen wir denn am Sonntag die Bezüge von den
Möbeln und machen die gute Stube auf. Und für den Sommer, in
den ersten Tagen des April, da nehmen wir die Bezüge auch von
unseren — Denkmälern. Denn auch die Natur ist für nns eine gute
Stube!

Man könnte vielleicht besser sagen: die Kunst. Denn die Natur
ist es doch nicht ganz für uns; sonst würden wir nicht in die Lage
kommen, darunter zu leiden, daß alle Stellen, die schön sein wollen,
mit Bretterbuden garniert sind.

Jch weiß nun gar wohl, wie man diese schufterhasten Allüren
reicher Städte entschuldigen kann. Marmorsiguren halten in unserem
Klima den Winter nicht aus; eine einzige Nacht kann sie zerstören;
und Marmorfiguren sind bekanntlich teuer. Ganz richtig! Wenn man
also Marmorfiguren freistehend haben muß, so muß man sie den Winter
über verpuppen. Aber muß man Marmorfiguren im Freien haben?
Man sollte meinen, wenn sie unser Klima nicht aushalten, so wäre
damit bewiesen, daß sie nicht hineingehören. Man hat schließlich doch

ü Zunlheft G06 22!;
 
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