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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 21
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Köberle, Georg: Die Theater-Agenten
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0329

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snchte. Wäre dennoch zu befürchten, daß diese An-
regung spnrlos verhalle? Noch glaube ich es nicht,
obgleich meine nun fast fünszigjährige Arbeit für einen
Neuanfschwnng des Bühnenlebens mich längst über-

^- --^

zeugt hat, daß die dem Theater anhaftenden Schäden

zu fenen nnseres Runstlebens gehören, die am schwersten
zu heilen sind.

Georg Iköberle.


IKundscbnu

DLcbtung.

* IKobert Damerling ch. Beim Durchlesen der
Urteile, die über Nobert Hamerling jüngst in den
deutschen Zeitschriften zu finden waren, zeigte sich's
dem Literaturfreunds wieder recht deutlich, wie sich
die Zeiten geändert haben. Zehn Zahre früher
wäre des Grazer Dichters mit unvergleichlich reicherem
Lobe gedacht worden, als jetzt. Der „Nealismus",
der „Naturalismus" wächst von Zahr zu Zahr so
mächtig heran, daß auch die widerftrebenden mit
ihm paktiren — nnd Lsanlerling war ja ein „Zdealist".
Lr galt für einen der Alten, die dem und den
Nenen nicht wohlwollten. Also Nlaßhalten im Lobe,
denn Borficht ist die erste Aritikerpsticht! versuchen
wir unsererseits, bei dem knappen Bericht, den wir
znr Grinnerung an den Verstorbenen niederschreiben,
ohne jene Schlagworte ausznkommen.

bsamerling war nicht im Schillerschei: Sinne naiv.
Die Dinge, welche er mit dem inneren und äußeren
Auge sah, gaben ihm weit seltener den ersten Anstoß
zum Schaffen, als seine Gedanken über die Dinge
und jenes „Gemüt", das sich ans den Tmpfindungen
zusammensetzte, die jener Gedanken Begleiter waren.
Linzelnen werken gegenüber möchte man sagen, er
habe alles dreimal gesehen: einmal mit seinen Ge-
danken, dann mit seinen Gefühlen und dann erst mit
der jDhantasie. Und man glaubt an einigen ^tellen
stückweis die verschiedenen Betrachtungsarten unter-
scheiden zu können. Gmpstndungsinnigkeit nnd Leiden-
schaft, nüchterne Gedankendarlegung und mächtig
anregende Anschaulichkeit liegen dann wie gesondert
neben einander. <Lin jedes an und für sich be-
deutend, aber keine Ginheit in ihrem Beieinander.

Gr hat sie indessen denn doch recht oft erreicht, diese
Ginheit, nnd wo sie gelungen ist und wo der jDoet
sein Bestes gab, wie in seinem „Ahasver in Rom"
und seinem „Aönig von Äon", da entstand etwas, das
königlich über d"en Haufen der Durchschnittsleistungen hin-
wegsah. Zn herrlich organischer Tntwickelnng wächst
hier lVunderblüte auf Wunderblüte der phantasie
empor, in Farbenkraft sich entfaltend, und sicher
reifend zu schwerer Frncht. Der Dichter hatte ein
Recht, sich bitter zu beklagen, wenn man dann etwa
von einer „Folge glänzender Schilderungen" sprach.
Denn hier ist alles durchaus einheitlich, jedes Glied
ist notwendig zum Ganzen. Lben deshalb ist's anch
irrig, von „allzu üppigen ^zenen" in jenen beiden
Werken zu sprechen. Auf einzelne ^tücke als Stücke
genommen träfe der Vorwnrf vielleicht zu, aber wir
haben's eben nicht mit Stückwerk zu thun. Und wer eine
Dichtung nicht als Ganzes zu sehen vermag, die ein
Ganzes ist, dem fehlt die Befugnis über sie zu sprechen.

Zch möchte, freilich im widerspruch mit Vielen,
auch die j)rosaerzählung „Aspasia" k^amerlings
Aleisterschöpfungen anreihen, obwohl die Schwächen
des Dichters hier deutlich kenntlich sind. Sie darf
nur nicht als „Noman" betrachtet werden, sie ist

ein lyrisch-episches Stimmungsgemälde dessen, was
^ainerling sich unter dem j?erikleischen Zeitalter vor-
stellte, ein Hymnus auf das alte Hellenentum nnd
seinen Schönheitskultus. Nicht ein archäologisch
getreues Zeitbild wollte Hamerling geben, sondern
den dichterischen Ausdruck der Stimmnng, welche die
Rulturerzeugnisse des Griechentnms in ihm erweckten.
Und wenn jedem Dichter die Stoffwahl frei steht
nnd über den Aunstwert eines Merkes nur die Ant-
wort auf die Frage entscheidet: wird nns vermittelt, was
uns vermittelt werden soll? — dann nimmt auch
„Aspasia" alsNunstwerk einen hohen Nang ein, denn kein
Lmpfänglichcr wird sich dem Ginfluß der dichterischen
flchantasie hier entziehen kännen. Ob ^amerlings
b;ochschätznng der Antike in diesem Nlaße berechtigt
war oder nicht, hat mit der ästhetischen Abwägung
der Schöpfung nichts zu thnn.

Nian hat darauf hingewiesen, daß selbst in die
„Aspasia", s?lbst in die Schilderung des höchsten
Zeitalters also, das es für einen Hamerling gab,
der Reim des Niederganges mit eingezeichnet ist, des
Niederganges, den Hamerling sonst geradezu zum
Hauptstoffe seiner Werke macht, den er in Lyrik,
Tpik und Dramatik immer wieder behandelt. Die
Thatsache ist kennzeichnend für den tief schwermuts-
vollen 5inn des Dichters. Ts scheint mitunter,
als glaubte er wohl an ein „Zdeal", aber wie
manche an das „Tansendjährige Neich" glauben —
als an etwas, das vielleicht einmal war und in
ferner Znkunft einmal wiederkommen soll, an ein
Neich, darin die N'lenschen keine Schwächen mehr
haben, will sagen, keine Nlenschen mehr sind. Nlehr
und mehr ging ihm die Fähigkeit verloren, zu ent-
schnldigen. Denn was ihm schier ganz nnd gar
fehlte, das war der bsumor; den Schritt von der
Tragik zn ihm hat er nicht gethan, Tragiker blieb
er — und vielleicht mußte er's bleiben unter der
Übergewalt seines körperlichen Leidens. Auch sein
so bedeutsames satirisches üauptwerk, der „üomunkulns",
von dem an dieser ^telle (I- t2) ausführlicher ge-
sprochen wnrde, zeigt kaum einen Ansatz zum bsumor.
Linmal spricht er davon, daß sein „Ahasver" „den
ersten Zmpuls vom Gemütsgrunde aus erhalten"
habe. „Das Mort «Gemüt» ist allerdings vieldeutig!
Viele verstehen darunter ausschließlich jene Sorte,
welche die sogenannten «Gemütlichen» besitzen, und
welche ihren Tignern erlaubt, mit gesunden roten
Backen umherzulaufen, mit frischen, fröhlichen Augen
in die Melt zu blicken. Niiögen diese Glücklichen
niemals jene andere Sorte von Gemüt kennen lernen,
die ans ihren gähnenden Tiefen vnlkanische Gebilde
der Dichtung emporwälzt und bei welcher man nicht
blos die «Gemütlichkeit» einbüßt, sondern es auch
erleben kann, von j)hysiognomikern kalt gescholten zu
werden." Mie trefflich zeigt er hier die Stimmung
seines Mesens!

--———-Z

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