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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 23
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Kretzer, Max: Objektivität und Subjektivität in der Dichtung
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0362

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es einer großen Vertiefung bedurft, eines subfektiven
Lrfassens des großen Seelenkmnpfes eines weibes,
wie er unter ähnlichen Verhältnissen eintreten könnte.
Lin weib, bei dein es sich um das Glück seines ganzen
Lebens handelt, giebt sich in dem entscheidenden Augen-
blick nicht mit doktrinären Nedensarten ab. Ls sagt
entweder Ia oder Nein, oder es schweigt. An ^telle
des dichterischen Lmpfindens hat Ibsen die philosophische
Betrachtung treten lassen, statt der Obsektivität, die
hier die wirkliche Subsektioität gewesen wäre, hat er
den gemachten, den scheudo-Nealismus, der wahr
erscheinen will, ohne es zu sein, gegeben, und deswegen
hat er sich hier nur als Beobachter und Verfechter
einer halben wahrheit gezeigh Hat er Lllida gar
nicht verstanden. Das sind die Folgen des trockenen
Zwiegesprächs. Diese Lllida, wie sie sein sollte, hat
ohne Zweisel sehr ost im einsamen winkel gesessen
und ein Gedankengespräch über ihr srüheres und ihr
jetziges L^eben gehalten. Die Gnthüllung dieser inneren
Vorgänge ist der Dichter uns schuldig geblieben. Ge-
wiß nur aus Gründen der „technischen Weisterschaft."

wenn man die/Obsektivität äls das ausgesaßt sehen
will, was sie dem wortsinne üach ist, als eine möglichst
sachgemäße Darstellung äußerer vorgänge, so wird

man zu dem Lrgebnis gelangen, daß sie viel mehr l
mit der Beobachtung zusammen hängt, a!s mit der
Aenntnis, viel mehr die Sinne in Anspruch nimmt, als
die ^eele. Gin Aialer, der gut sieht, kann ohne
Zweifel die Runstfertigkeit besitzen, das erregte Aus-
sehen eines Menschen vortresflich aus der Leinewand
wieder zu geben, ohne daß er sich um die Nrsache
dieser Grregung viel zu bekümmcrn braucht. Und ein
guter Lrzähler wird die vorgänge, die er erlebt hat,
so lebenswahr schildern können, daß man seine „Ob-
sektivität" bewundern kann. Gr vermag sogar, uns
gut zu upterhalten. Ob er uns/ überzeugts ob gar
ergreist, wird eine andere Lrage seinDZLNaskolnikow"
etwa von Llindau gedichtet, hätte den Mord auch be-
gangen, aber wir würden den Lselden jedenfalls sobald
wie möglich auf die Anklagebank wünschen, um die
Genugthuung zu erleben, den „gemeinen Verbrecher"
gerichtet zu sehen. Und Dostojewski hätte in den
„Armen wlädchen" die Negina ebensalls unter ähn-
lichen Umständen „fallen" lassen, aber jeder Leser
hätte ohne Zweisel an diesen „Lall" geglaubt. <Ls
bleibt Zedem überlassen, zu entscheiden, wer von Beiden
gerade durch die Subjektivität zur höchsten Objektivität
gelangt wäre. /ibax Aretzer.

Dicdtung. 1!? UN ^ SLäU.

» Aber den vers mw Oie DLedtung des
1k?enlLSMUS veröffentlicht Zulius k^art einen
längeren Aufsatz in der „Tgl. Ndsch." (Nr. t77 und
17 8), dessen zweiten Teil wir hier wiedergeben. Zm
ersten Teile bezeichnet der Dersasser die dichterische
Lorm als eine den inneren Gehalt des Uunstwerkes
charakteristisch verkörpernde S>prache des j?hantasie-,
Tmpfindungs- und verstandslebens. Lr behauptet
weiter, daß letztere in unserer Zeit nicht mehr dem
der klassisch-romantischen Lpoche völlig gleich sei;
daher müsse notwendig der Zeitpunkt eintreten, wo
diese neuere Dichtung nach einer Umgestaltung der
Lorm dränge; umsomehr wenn sich die Trkenntnis
Bahn bricht, daß die Form, wie sie in der Gegen-
wart gehandhabt wird, in zeirlose Äußerlichkeit ver-
sallen ist und alles verloren hat, was ihre eigentlich
künstlerische Bedeutung ausmacht, wenn sie aushört,
eine charakteristische Derkörperung des Znhalts zu sein.
Und daß unsere deutsche Dichtung seit langer Zeit in
diese Bahn eingelenkt ist, das wird leider umsomehr
feste Uberzeugung, je tieser man in den Gegenstand
einzudringen sucht.

Die höchste Lormvollendung welche die neuere
deutsche Dichtung erreicht hat, liegt in den Goetheschen
Schöpfungen. Und die Tigenart dieser Goetheschen
Lorm ist bis aus den heutigen Tag von dem be-
stimmenden Tinsluß gewesen, dem sich nur hier und
da einer entzogen hat. Zch nenne z. B. Lreiligrath,
und auch Lseine, welcher, obwohl er in seinem Buche
der Lieder gerade den Goetheschen 5til zuweilen bis
zur raffinirten Uoketterie ausbildete, doch in den
späten Dichtungen zur Tigenart und Selbständigkeit
sich durchgerungen hat. Aber diese vereinzelten ver-
suche sind wohl sklavisch nachgemacht, ohne indeß eine
selbständige kVeiterbildung zu sinden. Das wesen
der Goetheschen Lorm möchte ich ein vorwiegend

musikalisches nennen; die schönsten und bei weitem
zahlreichsten Mirkungen erzielt er durch den reinen in
das Ghr sallenden Ulang, mehr durch den Neim, als
durch den Nhythmus. Und dem entspricht es, daß
er im Gegensatz zu Shakespeare ziemlich sparsam und
behutsam Biider anzubringen psiegt. Shakespeares
Lorm ist die der sithantasiesprache, Goethes die der
Nkusiksprache. Zener vermittelt uns vorwiegend
farbig lebendige Vorstellungen, Dieser regt mit wun-
derbaren und seltsamen Tönen unser Gefühl an.
Über die Goethesche Nunst in der Behandlung des
für seine jDoesie so bedeutsamen Neimes bringt jDoggel
reiche Zeugnisse bei; er weist nach, wie zumeist der
Lsauptbegriff des 5atzes aus das Reimwort gelegt ist,
und ferner, wie gerade der Reim in besonderer Meise
Träger des Gesühlslebens ist, während der Nhythmus
mehr ein plastisch - malerisches Tlement bedeutet.
„Goethe", sagt auch Mehring in seiner jüngst er-
schienenen Schrist über „Den Reim", „legte dem Rlange
hohen wert bei. wie überhaupt die ^prache in
seinen Dichtungen Mohllaut atmet, so ist auch der
Versschluß meistens volltönend und gewichtig. Die
vollendete Lorm giebt sich in einer erstaunlichen
Schlichtheit. Gedichte wie „An den Ntond", „Über
allen Gipfeln", „Der Lischer", werden im Ntunde des
Sprechenden zu N'lnsik. Last jede Nlangsorm ist in
Goethes Dichtungen vertreten. N)ie genau entspricht
aber diese musikalische Lorm dem subjektiv - lyrischen
Tharakter der Goetheschen Dichtung im Besonderen,
der klassisch romantischen j)oesie im Allgemeinen.
Diese ganze j)eriode konnte sich in keiner anderen
Sprache, als der vorwiegend des Nlanges und Tones,
ausdrücken, wo „jedes wort Ntusik" ist. Lyriker
sind alle glänzenden Lrscheinungen dieser Zeit, zu Lyrik
werden auch Tpos und Drama. Das Zch des Dichters
beherrscht die ganze weltund gestaltet sie nach sich um".


(s
 
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