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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1906)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0046

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an unser unsterbliches Gastmahl, da willst du uns verwehren, einmal
herzhaft aufzulachen über das irdische Gastmahl des Philosophenkongresses!

Sokrates: Nicht verwehren, mein liebes Kind. Nur gerecht sein
möchte ich gegen die Herren da unten, die ja nichts dafür können, daß der
neue Sprachgebrauch auch sie Philosophen nennt. Ganz gerecht möchte
ich sein und den Herren es nicht einmal verübeln, wenn sie unser Lachen
mit ihrem Lachen erwidern. Ia, ja, ihr Herren, die Philosophen der
neuen Art haben allen Grund, über die Philosophen der alten Art zu
lachen. Seltsam und fremd ist ihnen die Qual des Erkenntnisdranges,
seltsam und fremd das Lebensopfer für ein unerreichbares Ziel. Fremd
ist es ihnen, als einzigen Lohn Verfolgung, Verachtung, Tod oder Bann
zu empfangen. Das Standesinteresse verlangt anderen Lohn. Seid still,
ihr Herren, und horcht. Wer ein Lügenohr besitzt, der muß vernehmen,
wie die da unten heimlich über uns lachen.

Ein zorniger Donnerschlag aus dem Abgrund des Himmels machte
dem Reden und dem Horchen ein Ende.

„Werde mir nur kein Maler!"

Goethe hatte für keinen Freund
stärkere Lobesworte als sür Heinrich
Meher aus Stäsa in der Schweiz,
den weimarischen „Knnschtmeyer";
er behauptete sogar, alle andern,
auch Schiller und er selber, müßten
oder könnten noch einmal auf die
Erde zurückberufen werden, weil sie
mit den irdischen Aufgaben noch
nicht fertig seien, den alten Meher
aber könne die Natur hier unten
nicht wieder brauchen, er habe ihr
diesmal schon zu gut in die Karten
geguckt. Dieser Heinrich Meyer war
Maler und Direktor der Zeichen-
schule, aber er riet jedem Schüler
dringend von der Kunst ab: „Male
soviel du willst, aber werde mir nur
kein Maler!" Genau so sprach
Goethe: „Es muß nicht gleich alles
zum Handwerk werden, was unserm
Dasein zur Zierde gereichen sollF
sagte er zu einem jungen Theo-
logen, der sein Studium ausgeben
wollte, weil er sehr gut zeichnete.
Ebenso schrieb er an jeden Dichter-
jüngling, der ihn um Rat fragte:
„Lernen Sie und treiben Sie ein
nötiges Geschäft, eine praktische Tä-

tigkeit!" Nun wollten die weimar-
ischen Kunstfreunde keineswegs die
Maler und Dichter ausrotten, aber
sie hätten allerdings gern den jun-
gen Kunststudenten derbe Hindernisse
in den Weg geschoben; solche Hin-
dernisse, die nur von den Berufenen
überwunden werden, an denen die
Dilettanten und die Künstler aus
Eitelkeit ermatten. Sie wußten, daß
der Welt mit einer großen Zahl
mittelmäßiger Auchdichter, Auch-
maler und Auchmusiker durchaus
nicht gedient ist. „Die Menge der
Dichter ist es, die Dichtkunst her-
unterbringt in Ansehen und Wir-
kung."

Wir Heutigen dagegen haben eine
MengeZüchtungsanstalten für über-
flüssige Künstler: Akademien, Kon-
servatorien, Kunstschulen — nur
staatliche Dichterschulen fehlen uns
noch. Wirhaben namentlichauch eine
Menge reicher Familien, deren Glie-
der einen möglichst angenehmen und
vornehmen Beruf begehren; da wer-
den wiederum aus kleinsten Talent-
chen Maler, Bildhauer/Kunstgewerb-
ler, Komponisten und Dichter ge-
macht. Wer die Bedürfnisse unsres

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