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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

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Heft 3 (1. Novemberheft 1906)
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Treu, Georg: Meuniers religiöse Bildwerke
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Naumann, Friedrich: Kunst und Industrie, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0167

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Es ist in diesen Blättern (Kw. XIX, (6) davon die Rede gewesen,
wie wenig wir den Menschenleib als bloßes Raumbild, als reines Or-
nament zu sehen vermögen; wie die seelische Ausdeutung überall unab-
weisbar, unwegdenkbar zudrängt. Hier ist es der geschlossene Umriß,
der die beiden Gestalten gegen die ganze Welt abschließt, die Glieder in
gegenseitiger Hingabe verschränkt, ihre Seelen in Liebe und Erbarmen
eint. Ein Fingerdruck — und das Andringen wird hestiger; ein
zweiter — und die Wellen der Gesühle ebben wieder. Solch wunderbar
feines Werkzeug seelischer Wirkungen ist die Linie.

Wie es ein zerstörendes Bemühen ist, das Auge aus dem kör-
perlichen Zusammenhang zu lösen, so wenig vermag man den schauenden
Menschen von dem fühlenden und denkenden zu trennen. Äber Allem
schwebt die Einheit der Seele. Das ist die wahre prästabilierte Har--
monie, die Inneres und Aeußeres gleichermaßen durchdringt und bindet.

Burckhardt rühmt einmal in seiner Griechischen Kulturgeschichte
von der hellenischen Kunst, man habe bei ihr „nie das Gefühl der
Motivjagd, des Präsentierens von Attitüden um ihrer optischen Wohl--
gefälligkeit willen". »Diese Gestalten sind um den Beschauer im höchsten
Grade unbekümmert", sagt er. Das Wort gilt auch von Meuniers
Werken. In einer Zeit der Ausstellungen und Kunstfeuilletons, im
Gewirre kämpfender Weltanschauungen hat er, von alledem unbeirrt,
aus der inneren Nötigung erlebten Leides, in Kraft und Wahrheit
uns eine neue religiöse Kunst wiedergebracht, die auf ihrem Gebiete
ebenfo eine Neuschöpfung ist, wie aus anderem das Arbeiterbild, an
das wir bei Meuniers Namen alle zuerst denken.

Dresden Georg Treu

Kunst und Judustrie

(Schluß)

Es sind in diefer Hinsicht einige der Spezialgebiete des Kunst--
gewerbes besonders lehrreich, und zwar denken wir da an Dinge wie
an die berühmte venezianische Glasindustrie und an die Porzellan--
Fabrikation der alten und berühmten Großbetriebe, von denen Meißen
der älteste ist. Die venezianische Glaskunst ist schon im Mittelalter
als kausmännischer Betrieb aufgefaßt worden und enthält ziemlich genau
alle die Merkzeichen, die wir bisher für die Industrialisierung der Kunst
hervorgehoben haben. Und auf welcher stolzen Höhe hat sich durch Iahr--
hunderte hindurch diese zarte und feine Kunst der Venezianer halten
können! Das Porzellan aber ist von vornherein überhaupt niemals
zur tzandwerkskunst geworden. Es wurde vom ersten Tage an im
europäischen Abendland von einem Verwaltungskörper bearbeitet, in
dem der Künstler, der Kaufmann, der Arbeitsleiter und der Arbeiter
als gesonderte Größen nebeneinander stehen. Sicher ist es richtig,
daß auch die berühmte Meißner Porzellan-Manufaktur nicht zu allen
Zeiten die gleiche Höhe ihrer Leistungen erreicht hat. In solchen Zeiten
aber hat die Konkurrenz der verschiedenen Großbetriebe stets sehr wirk-
sam dazu geholfen, daß der künstlerische Trieb und Geschmack von neuem
erwacht ist. Die Anregungen, welche von der Kopenhagener Porzellan-
Industrie ausgegangen sind, lassen sich sowohl in Dresden wie in Berlin,

^ Hs Kunstwart XX, 3
 
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