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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

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Heft 8
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Avenarius, Ferdinand: Moderne Balladen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0542

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Moderne Balladen

Sechs neue Balladenbücher fliegen auf meinen Tisch zu gleicher
Zeit- und wie sie Vorläufer zu Dutzenden hatten, werden fie Nach-
laufer haben — nein, das kann man nicht fagen, daß die Ballade
heut „unmodern" sei! Aber kaum schreib ich „die Ballade", so stutz
ich fchon. Sind denn das alles Balladen, was man so nennt? Bal--
laden in dem Sinne, den man früher damit verband, nun ganz
gewiß nicht. Alfo hat sich der Begriff „Ballade" gewandelt, was
ja ficher kein Anglück wäre? Er hat's, aber der alte Begriff und
nichr nur der Begriff, nein: die alte Form und noch mehr: sehr
oft auch der alte Inhalt scheint unsern Balladendichtern doch immer
noch als das Höchfte zu gelten, dem man nachstreben kann. Viel-
leicht mit Recht, vielleicht auch nicht. Ich glaube, es ist ein Sich-
besinnen an der Zeit darüber, was uns heute von dieser Gattung
noch wahrhaft leben kann. Nnd das kann geschehen, ohne daß wir
uns über die feineren Anterschiede von „Romanze", „Ballade",
„Kleinem Lpos" ufw. zu ftreiten brauchen, es kann geschehen, indem
wir das Wort Ballade einfach hinnehmen als gleichbedeutend mit:
kurzem, eine Handlung darstellenden Gedicht. „Oho!" ruft es aus
allen Ecken, und Börries von Münchhausen, der eben in der „Deut-
fchen Monatsschrift" einen fehr lesenswerten Aufsatz über Balladen
veröffentlicht hat, hält mir einen ganzen Teller voll von Einwen-
dungen hin. Aber Ihr Aufsatz, Herr Baron, heißt „zur Afthetik
meiner Balladen", Sie betonen darin selbst sehr klug, daß Sie nur
eine „Selbstäfthetik" geben wollen, und Sie bringen in Ihren „Bal-
laden" unter so lautendem Gesamttitel selber einiges, was nur bei
weitester Grenzfteckung noch als Ballade gelten kann, meiner Meinung
nach fogar einiges von Ihrem Besten. Und alle die neuen Bal-
ladenbücher dort vor mir, nur das von Tielo ausgenommen, nennen
auch Gedichte Balladen, die kein Asthetiker älteren Schlags je fo
genannt hätte. Streiten wir alfo nicht um Worte, denken wir lieber:
je mehr unfer Begriff umfaßt, auf je mehr muß zutreffen, was sich
aus dem Wesen der Sache felber ergibt.

Vor mir liegt auch der Scherlsche „Neue deutfche Balladen-
schatz", enthaltend die Ergebnisse eines Preisausschreibens, das Scherl
„zur Wiederbelebung der deutschen Ballade" veranstaltet hat. Ich
habe nicht über das Scherl-Wefen zu reden, übrigens käme, wollte
ich's tun, weit schlimmer als dieses Gefchäftshaus in Menschenkennt-
nis die gepriesene „deutfche Bildung" dabei weg, welche zu den guten
wie zu den schlechten Nnternehmungen Scherls herbeiläuft, die Photo-
graphie mit oder ohne „Heim" und alles sonst Gewünschte unterm
Arm, sobald nur August, der Linslußreiche, Pseift. Äber den „Neuen
deutschen Balladenschatz" kann ich mich nicht mit einer Extraportion
entrüsten. Natürlich bringt er nichts Neues, denn echte Dichtungen
können nicht auf Preisausschreiben hin gemacht, können nur aus
innerlichem Drange gestaltet werden: es ist unmöglich, daß Scherl
auch nur eine einzige Dichtung hervorgerufen hat, er kann nur die
eine oder die andre, die auch sonst entstanden wäre, prämiiert haben.
Immerhin, schon in solchem Hervorheben und materiellen Belohnen

2. Ianuarheft lZO?
 
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