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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

DOI Heft:
Heft 16 (2.Maiheft 1907)
DOI Artikel:
Lamprecht, Karl: Beethoven, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0242

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gleichsam, ohne Abwechslung auf Kosten elementarer Gemntsbewe-
gung, keimsähig sür unterhaltende Kammermusik und den epischen
Tändelton primitiver Symphonien? Ietzt waren es Ossenbarungen,
die aus heißem Herzen emporloderten und auss unmittelbarste Ge--
fühltes zum Tönen brachten, rücksichtslos wurde der Hörer in ihren
Empsindungsgehalt eingebannt: und die melodiösen Keime trugen
mit Windeseile hinüber in den schwermütigen Bereich eines un-
ersorschlichen Schicksals.

Wer wird da denken, daß sich ein Meister dieser Art in den
schönen Ton eines Haydn, ja auch eines Mozart habe einspinnen
können! Hier überwiegt das Gesühl den Ton und der Charakter
die Schönheit. Denn dieser Meister deklamiert; mit einer Dynamik
ohnegleichen rührt er an jeder Faser des Herzens; und immer groß,
immer monumental, auch wo er scherzt im leichten Verzichte schmerz-
licher Reslexionen, weiß er nicht bloß zu erfreuen, sondern zu er-
schüttern, fromm zu machen, zu trösten. Amd nie wird er dabei
dünn in der Form und klimpernd im Tone. Dick und verwachsen
gleichsam, der jung aufsprossende Arwald einer neuen musikalischen
Welt, ist seine Musik; und indem er durch unerhörte Begleitungen
seine Melodien in bald königlich triumphierenden, bald zu tiefstem
Mitleid rührenden Erfolgen einherschreiten läßt, zwingt er Gehör
und Auge gleichsam snggestiv heran an das Drama seiner Affekte.
So wird die gewöhnliche Akkordbegleitung durch tausend Einfälle
unterbrochen, und wenn sie melodiös wird, wohl gar als Melodie
fortgesührt: nicht einfach und glatt ist der Rahmen, in dem die
berückenden Bilder dieser unverwüstlichen Phantasie erscheinen, son-
dern schon bestickt und bemalt und durchwirkt mit Llementen, die
das Bild charakterisieren und im weiteren Sinne ihm zugehören.
And wenn das Melos der Melodie bittersüß sein sollte oder schick-
salsschwer im Gegensatze tragischer und heiterer Empsindungen, dann
erscheint wohl gar eine zum Charakter der Melodie antithetische
Harmonisierung: ein zitterndes Spannungsgefühl wird erreicht; und
wir glauben uns Zerstörungen nahe und Katastrophen.

Bewegt sich der Meister so in allen Welten einer Stimmung,
die völlig frei ist und unberührt von gebundener Macht, die an
die Sterne tastet und an die Schatten der Anterwelt, so fehlt, bei
mancher vlämischen Derbheit im einzelnen, die aus den Spalten einer
mächtigen Persönlichkeit hervordringt als ein ahnenreicher Atavis-
mus, dennoch nicht eine Bindung, ein inneres wie äußeres Maß,
bestehen Elemente künstlerischer wie sittlich-religiöser Erzogenheit. Ls
sind die Llemente, die Beethoven erst zum Klassiker gemacht haben
bei aller glücklichen Stellung in der Entwicklungsgeschichte der Kunst
und bei aller Hochflut persönlicher Begabung. Beethoven war selbst-
erzogen in Frömmigkeit, wenn auch nicht kirchlich: sein schriftlicher
Nachlaß ist durchsetzt mit dem edlen Metall kurzer Gebete, Symbolen
einer tiefen und unaussprechlichen Hingabe an das Anendliche; und
wer vernimmt nicht über und unter den musikalischen Fluten der
,,Ni88L 8oIsmni8" den Orgelton religiösen Ringens und endlich sieg-
hast gebliebener Äberzeugung? So besaß der Meister schon srüh,
mindestens als Disposition, ein inneres Maß der Dinge; und wo

! ^94 Kunstwart XX, ttz ^
 
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