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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

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Heft 20 (2. Juliheft 1907)
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Avenarius, Ferdinand: Was dünket euch um Liebermann?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0495

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dankenmaler" als minderwertig betrachten muß, davon wollen wir
sprechen, nachdem wir Liebermann gewürdigt haben. Sind unsre
Augen klar, so wird das bei eingehender Beschäftigung mit ihm
schon deshalb kein kühles .Würdigen bleiben, weil dieser Künstler
auch starke sittliche Werte zeigt.

Max Liebermann ging nach einer Lehrzeit bei Steffeck in Berlin
M9 nach Weimar, zeichnete bei Lhumann, malte bei Pauwels —
und stellte dann seine „Gänferupferinnen^ aus, die von Steffeck und
Thumann nichts, von Pauwels außerordentlich wenig zeigten und dem
Publikum aufrichtig mißfielen. Das Spähen nach dem eignen Weg hatte
ja fchon in Berlin mit der Ausfchau über Steffeck weg nach Gussow
und Menzel begonnen, und was Liebermann auf diefem eignen Wege
liegen fühlte, das ließ er sehr ftark auf sich wirken. M2 ging er
nach Paris zu Munkaczy, und auch der gewann Linsluß auf ihn,
während den jungen Berliner fein dunkler Drang an den später
ihm liebsten Meiftern noch fo sehr vorüberführte, daß Hans Thoma
den Manet eher schätzen lernte, als der, den man zu Unrecht
Manets Verdeutscher genannt hat. Liebermann trat zunächft viel
näher an Millets Kunft heran, j873 malte er fogar den Sommer!
über in Fontainebleau. Das lehrte ihn Millet: im Alltäglichen das
Typifche sehn — man vergegenwärtige sich als das schlagendfte Bei--
spiel Milletfchen Linfluffes das große Gemälde der Netzeflickerinnen.
Vielleicht war es der allgemeinen Annahme entgegen auch Millet,
der das malerifche Sehen bei Liebermann gewisfermaßen freimachte,
wenngleich Liebermann in rein malerischer Beziehung schnell über
Millet hinauswuchs. Bei Israels und den andern damaligen Wer--
denden von Holland fand der Fremde dann weiter, was er brauchte,
und er fand es in Hollands Land und Volk, am meiften: in Hollands
Luft und Licht. M8 nach Deutfchland zurückgekehrt, erregte er mit dem
„Chriftus im Tempel", der wieder menzelisch war, entrüsteten Wider--
spruch bei den Alten, aber durch andre Werke auch schon gespanntes
Hinblicken bei den Iungen. Die Lehr-- und Wanderjahre waren nun
vorbei, das Ich des Künftlers war erwachfen. Bald nach Berlin ge--
zogen, hat er von dort noch manchen Ausflug gemacht und in mancher--
lei sich noch entwickelt. Das bloße Aneignen war vorbei, alle Lnt--
wicklung war fortan eine solche im eigentlichften Sinn: eine Ent--
faltung der eignen Kräfte. Selbst van Gogh fpäter hat nur mehr
s o auf ihn gewirkt.

Wer an Liebermann mit dem „Gefchmack der alten Schulen"
herantritt, hat zunächft wohl ost einen Gegentrieb zu bekämpfen,
einen Wider-Willen, der ihn ungerecht macht. Ich glaube, man be-
freit sich am leichtesten davon, wenn man unter seinen Werten zu-
nächst wieder die heraussucht, die keine dem Wesen nach neuen
und also befremdenden find. Man betrachte die Iefusgeftalt im Tempel
— schildert sie nicht unter anderm treffend einen frühreifen, feinen
Knabengeist? Man prüfe die Kleinkinderschule oder die Konserven-
macherinnen, sind nicht diese Gestalten mit sehr scharfem Auge für
das Bezeichnende gesehn? Man gehe den Bildnissen nach, erfreut
nicht in ihnen, und z. B. bei Berger in verblüffender Weise eine
Kennzeichnungskraft? Wer die Schönheit dunkler saftiger Tonigkeit

M Kunstwart XX, 20
 
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