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Iahrg.2l Zweites Aprilhest l S08 Hest l4
Ostergedanken
es nicht wie ein besonderes Gnadengeschenk des Himmels
(^^an uns Nordländer aus, daß die Hauptseste der Christenheit
von unsrer Landschaft begleitet werden wie von einem an unserm
Innenleben beteiligten gewaltigen Chor? Zu Weihnachten im tiefsten
Winterschlaf die Sonnenwende zum wachsenden Licht, zu Ostern das
grüne Erwachen rings, zu Pfingsten der Blüten- und Vogel-Iubel,
als höbe sich unterm heiligen Geist alle Kreatur über sich selber
hinaus. Auch denen, die dem kirchlichen Leben ganz ferne stehn,
summen die Töne aus diesen großen Zusammenklängen, ob sie's
beachten oder nicht, durch ihr Sein. Wer von den Kirchenfesten
vielleicht kaum hören würde, der vernimmt zu Weihnachten, Ostern,
Pfingsten doch, was auch ihm in alter Verbindung aus der Kindheit
her als Widerhall der Feste in der Natur erscheint, und es begleitet
seine Gedanken.
Heut seh ich wieder einen Aufsatz voll Klagen, daß es mit dem
so gar langsam vorwärtsgehe, dem auch meine Lebensarbeit ge°
widmet ist, mit unserm Ringen um eine edlere Ausdruckskultur.
Liegt es an der Osterzeit, daß ich, so oft ich beim Lesen zustimmend
nicke, das schließlich doch lächelnd beiseitlegen muß? Daß ich, nach
andrer Leute Ansicht ein „Nörgler von Profession", trotz all der
Stillstände, Rückschritte, Seitenläufe und Verirrungen keinen einzigen
Grund zum Verzweifeln und hundert Gründe zum Frohsinn sehe?
Daß ich jetzt, nach einem Vierteljahrhundert der Arbeit vieler, von
denen ich einer war, mit ungleich festerer Zuversicht hoffe als da--
mals, da wir begannen? „Hoffe", das Wort sagt nicht einmal
genug. Gehofft habe ich damals, gezweifelt und gehofft, jetzt glaube
ich au unsern Sieg. Darf ich das? Sind es nicht doch die Oster»
stimmen rings in der Welt, die goldene Fäden durch meine Gedanken
spinnen? Prüfen wir in ganz kurzem Äberblick so sachlich wir's
können, wie es war und wie es ist!
W
Wie es war, davon habe ich zwar erst vor einem halben Iahr
hier gesprochen. In der Literatur lasen die Damen ihren Boden--
stedt, Träger, Rittershaus und Wolff, aber noch inniger versenkt ihre
Mühlbach, ihre Bürstenbinder und ihre Marlitt, lasen die Studenten
in ihrer großen Menge vor allen ihren Scheffel und ihren
Baumbach, lasen die, sagen wir: „besseren Leute" auch wohl
ihren Spielhagen, Heyse und Freytag, aber zu Mörike, Hebbel,
Keller, Ludwig, Raabe verstieg sich ausweislich der Auflagenzahl nur
ein weltfernes Gemeindlein ganz vereinsamter Extraleute. In der
Kritik regierte Gottschall, im Feuilleton Lindau, im Theater ein
Französeltum, gegen welches freilich bereits die tapfere Freischar aus
Meiningen von Walstatt zu Walstatt zog. In der Musik kämpfte
man um Wagner oder auch um Offenbach, bewunderts Nestlers Trom--
Peter und liedertafelte im übrigen, was das Zeug hielt. In der
2. Aprilheft IA08 65 I
Iahrg.2l Zweites Aprilhest l S08 Hest l4
Ostergedanken
es nicht wie ein besonderes Gnadengeschenk des Himmels
(^^an uns Nordländer aus, daß die Hauptseste der Christenheit
von unsrer Landschaft begleitet werden wie von einem an unserm
Innenleben beteiligten gewaltigen Chor? Zu Weihnachten im tiefsten
Winterschlaf die Sonnenwende zum wachsenden Licht, zu Ostern das
grüne Erwachen rings, zu Pfingsten der Blüten- und Vogel-Iubel,
als höbe sich unterm heiligen Geist alle Kreatur über sich selber
hinaus. Auch denen, die dem kirchlichen Leben ganz ferne stehn,
summen die Töne aus diesen großen Zusammenklängen, ob sie's
beachten oder nicht, durch ihr Sein. Wer von den Kirchenfesten
vielleicht kaum hören würde, der vernimmt zu Weihnachten, Ostern,
Pfingsten doch, was auch ihm in alter Verbindung aus der Kindheit
her als Widerhall der Feste in der Natur erscheint, und es begleitet
seine Gedanken.
Heut seh ich wieder einen Aufsatz voll Klagen, daß es mit dem
so gar langsam vorwärtsgehe, dem auch meine Lebensarbeit ge°
widmet ist, mit unserm Ringen um eine edlere Ausdruckskultur.
Liegt es an der Osterzeit, daß ich, so oft ich beim Lesen zustimmend
nicke, das schließlich doch lächelnd beiseitlegen muß? Daß ich, nach
andrer Leute Ansicht ein „Nörgler von Profession", trotz all der
Stillstände, Rückschritte, Seitenläufe und Verirrungen keinen einzigen
Grund zum Verzweifeln und hundert Gründe zum Frohsinn sehe?
Daß ich jetzt, nach einem Vierteljahrhundert der Arbeit vieler, von
denen ich einer war, mit ungleich festerer Zuversicht hoffe als da--
mals, da wir begannen? „Hoffe", das Wort sagt nicht einmal
genug. Gehofft habe ich damals, gezweifelt und gehofft, jetzt glaube
ich au unsern Sieg. Darf ich das? Sind es nicht doch die Oster»
stimmen rings in der Welt, die goldene Fäden durch meine Gedanken
spinnen? Prüfen wir in ganz kurzem Äberblick so sachlich wir's
können, wie es war und wie es ist!
W
Wie es war, davon habe ich zwar erst vor einem halben Iahr
hier gesprochen. In der Literatur lasen die Damen ihren Boden--
stedt, Träger, Rittershaus und Wolff, aber noch inniger versenkt ihre
Mühlbach, ihre Bürstenbinder und ihre Marlitt, lasen die Studenten
in ihrer großen Menge vor allen ihren Scheffel und ihren
Baumbach, lasen die, sagen wir: „besseren Leute" auch wohl
ihren Spielhagen, Heyse und Freytag, aber zu Mörike, Hebbel,
Keller, Ludwig, Raabe verstieg sich ausweislich der Auflagenzahl nur
ein weltfernes Gemeindlein ganz vereinsamter Extraleute. In der
Kritik regierte Gottschall, im Feuilleton Lindau, im Theater ein
Französeltum, gegen welches freilich bereits die tapfere Freischar aus
Meiningen von Walstatt zu Walstatt zog. In der Musik kämpfte
man um Wagner oder auch um Offenbach, bewunderts Nestlers Trom--
Peter und liedertafelte im übrigen, was das Zeug hielt. In der
2. Aprilheft IA08 65 I