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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,2.1909

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Heft 9 (1. Februarheft 1909)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8815#0186
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Literatur

Da wanLten sich die heilgen Hänpter alle,

Da streckten alle Arme sich nach mir —

Lsonore (crgreift mit beiden Händen seine Hand):

Ihr selber seid der ilNann, von dem Ihr rcdet,

Ihr selbst scid Christoph Marlowü
Marlow (wirft trnnken den Arm um sie): Schwur des Schwurs
Ia, ich bin Christoph Marlow, Englands Dichter!

(Walsingham ift im Sessel zusammengesunken, Francis ist aufgesprungen,
Margaret verhüllt sich das Gesicht.)

Rundschau

Die GotLheit im Epos

aß das innerste Wesen des
Epos, sein Herz und sein Blut,
weltlich, mithin frivol ist, beweist der
Stil, in wAchem der Epiker die
Gottheit behandelt, sobald diese in
den Vordergrund tritt und Gestalt
annimmt. Was dem denkenden
Geist das Höchste, Ernsteste und
Heiligste ist, also Gott oder Götter,
das behandelt der Epiker mit Aber-
mut, sogar mit einem Stich ins
Ironische. Ob er will oder nicht
will, er muß. Homer nimmt Achil-
les und Odhsseus ernst, mit Zeus,
Hera und Aphrodite springt er mut-
willig um. Auch die Umgebung des
christlichen Gottes muß sich diesem
Gesetz fügen; das Märchen und die
Legende spielen Gott und die Seinen
ins Gutmütige, etwas Philiströse,
sclbst das Vorspiel des Faust gibt
Gott etwas Behäbiges, Schmun-
zelndes. Würde einem modernen
Epiker die Aufgabe zufallen, die
Natur persönlich zu gestalten und
händelnd in den Vordergrund zu
ziehen, er würde ihr eine fröhliche
Seite abgewinnen, er würde gar
nicht anders können. Es ist, als ob
sich die Phantasie, in ihrer Frei-
heitslust, durch den Scherz dafür
cntschädigen müßte, wenn sie vom
Gedanken zur ehrerbietigen Vcrbeu-
gung gezwungen wcrden will. Nch-
men wir aber den Fall, ein Epiker
trotzte dem Zuge zum Scherz, er

lieferte die vom Geist geforderte «hr-
fürchtige Vcrbeugung vor der Gott-
heit, dann würde das entstehen, was
wir bei so vielcn Schul-Epen der
Vergangenheit beobachten: die bc-
rüchtigte epische Maschinerie, wcnn
es sich um klassische Götter, die kaum
mindcr berüchtigte fromme Lange-
weile, wenn es sich um christlichc
Götter und Heilige handelt, in jedem
Falle: Blutlosigkeit.

Ich muß aber noch einmal aus-
drücklich betonen, die übermütige
Behandlung der Gottheit im Epos
tritt bloß dann ein, wenn dic Gott-
heit als Pcrson in dcn Vorder-
grund tritt. Im Hintergrund ge-
halten, ist auch dcm Epiker die
Gottheit oder wie man sonst die
übcrsinnliche Weltkraft nennen will,
ctwas Ernstes, wie denn dic
Weltanschauung des Epikers tief-
ernst, ja pessimistisch sein kann.
Ebenso verfällt eine solche Gott-
heit nicht dem epischen Humor,
welche nicht vollständig Person ge-
wordcn ist: also z. B. Okeanos,
Ate, Ananke bei den Gricchen. End-
lich kann durch innige Verwandt-
schafts- odcr Freundschaftsbezic-
hungen zu cinem Helden eine Gott-
heit an dem Pathos des Helden
teilnehmen, wie Thetis in der Ilias,
wie Pallas Athene in der Odyssec,
die uns wie eine erhabene Frcundin
dcs Odhsseus lieb wird.

Schlicßlich noch eine kleine Merk-


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