Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1909)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0125
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Virginia: And dann? Was dann?

(Sie nähert ihm ihre Lippen.)

Donatello (starrt sie an): Dein roter Mundl

(Er schüttelt schmerzlich den Kopf. Dann hebt er ihn.)

Nach deinem Tag, Virginia!

Virginia (zicht ihr Gesicht beschämt zurück und geht leise; an der Tür
nickt sie noch einmal mit Leidenschaft): Leb wohl, mein Donatello I (Ab)

Donatello (bleibt eine Weile in sich gcsunken sitzen, dann steht er
erschrocken auf): Virginia! (Er nimmt sein Barett und will zur
Tür, da fällt sein Blick auf den Vorhang. Er wirft das Barett
wieder hin.) Hier, hier lag ihre Hand — und ich ihr nach? —

Ist das dcr Raum noch, wo ich einst in Ehrfurcht
mit mir und dir,

(Er umklammerl seinen Meißel.)
dem All vereinigt war?!

(Er reißt den Vorhang auf.)

Gestalten, mir noch kaum vertraut, krocht ihr nicht
in eurcn Stein zurück? — Und diese Rosen,
die mir cin herrisches Weib um dcinen Sockel
gelegt — zu Boden mit!

(Er reißt die Rosen vom Sockel der Madonna.)

— And diese Hand,

dic sollt ich Lndern, weil sie's haben will?

(Er lcgt scine Hand auf die Hand der Madonna.)

Ia, HLttest du die Hand, Virginia! . . .

Die hätt es nie und nimmermehr getan! . . .

Es wäre wunderbar, wcnn du sie HLttest ...

Den Mund hast du und diesen großen Blick!

Maria hat nicht dicscn reifen Mund!

(Er starrt das Gesicht der Madonna inbrünstig an. Dann geht er in der

Werkstatt umher und bleibt vor dcn beiden gefüllten Gläsern stehen.)
Die beiden Gläscr! Icdes steht so einsam
unausgetrunken da. Soll das bcdeuten,
daß wir zwei — ? Ansinn? Aber sei's, dies wäre
mcin Blut uud dies dein Blut, ich gieße beide
Gläser in einen großen Becher hier,
vermische es. Doch nein, du mußt dabei sein,
sonst gilt es nicht. Ich stell sie in dcn Schrank
für dcinen Tag. Dann trinkcn wir sie aus!

(mit beginnender Angst)

Auf dcincin Mund allein blüht mir das Glück!

(mit großer Angst zu sich selber)

Mensch, halt es fcst, daß du es nicht verlierst!-

Der Abcnd kommt, und ich bin mehr allein,
als ich es jemals war. — Hab ich denn nichts
als meinen Meißel? Bist so klein unü bist
doch groß genug, um mir das Tor des Lebens,
ein Balken, zu versperrcn!

(Er schlcudert den Meißel weg und umklammert schmerzverwühlt dcn

Sockel der Bildsäule.)

2. Aprilheft chOY S?
 
Annotationen