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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,1.1909

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1909)
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Gregori, Ferdinand: Vom Neuen in der Schauspielkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.8818#0111
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Iahrg. 23 Zweites Oktoberheft 1909 Heft2

Vom Neuen in der Schauspielkunst

sich während der letzten zehn Iahre auf dem Gebiete des
>»s^Bühnenwcsens auch nur flüchtig umgetan hat. muß rwer
-^Vden Reichtum an Wünschen, Bersuchen und gegluckten Re°
formen erstaunt sein, die dem Theater den Vorwurf des allzu lang°
samen Fortschreitens. die Eigenschaft der Beharrlrch ert schernbar ge°
nommen haben. Architektonische Gedanken Schlnkels und Sempers
sind aufgefrischt. neu gedacht und ausgeführt worden, dre Szene rm
besondern hat Tiecks und Immermanns Absrchten ausprobrert, mau
ist an vielen Orten der Verwandlungspanse durch dre Shakespere- und
die Drehbühne, durch Natur- und Frerlrchttheater oder durch andere
Vereinfachungen der Dekoration zu Leibe gegangen vor allem aber
steht heute das Bühnenbild und seine Belrchtung. ,er es als reakstlsches.
sei cs als stilisiertes Kunstwerk da, lerder bernahe als selbstandiges.
Vereinzelt hat man sogar begonnen. den außeren Rahmen des Schau°
spiels aus dcr inneren Struktur der Drchtung herauszuarberten: ern
Vorgehen. das von Rechts wegen so alt sein müßte wie dre erste Auf-
führung des ersten Dramas. Ganz plumpe Beispiele dasur gab es
freilich längst; denn in Brahms .Deutschem Theater» wurdeu D e
Weber« schon vor fünfzehn Iahren vrel mrnuzroser ausgestattet als
„Der Misanthrop«. Aber vollkommene malerische Schöpsungen, dre
aus dem Geiste des geschriebenen Werkes und zugleich aus dem
Erlebnis eines bildenden Künstlers zusammenslreßen kamen damals
und früher nicht oder nur zufällig zustande. Man holte eher -.va rm
»Bildersaal der Weltgeschichte«. wenn es den Wallenstern Zu m ze°
nieren galt. als in der Stimmung. die Schüler nnt brertem Drchter-
Pinsel aufgetragen hatte. So sind jetzt dem Theater Tausende und
Abertausende von Kunstfreunden, die ihm durch Iahrzehnte
waren. wieder zugeführt worden. Der herausfordernde Mnnchner
Titel „Künstlertheater«, der sich wohl vom „künstlerischen Theater
der Moskauer herleiten läßt. ist gewiß den meisten neugewonnenen
Besuchern schlicht und natürlich erschienen. weil sie endlich emmal
vom Bühnenbilde befriedigt wurden; sre fuhlten, hrer halfen Leute
am Werke, die modern empfanden und an den Ergebnissen lrnearer
und farbiger Kultur nicht blind vorübergegangen waren.

Ich fürchte jedoch, daß wir über kurz oder lang diese Tausende und
Abertausende wieder verlieren; sie werden einsehen, daß dre Buhne
rhnen zwar etwas Gutes geboten, dessen sie sich nie zu ;chamen
brauchen, daß sie ihnen aber vom Guten das Beste noch vorenthalten
hat: damit meine ich die Schauspielkunst selbst, ohne den Rahmen.
Ihre Entwicklung bietet leider viel weniger Lichtpunkte als dw der
Dekoration und zwingt uns sogar von arg getäuschten Hoffnungen
Zu reden. Wjx hattcn sowohl von der naturalistischen Dichtung, dre
manches starke Schauspielertemperament erweckte, wie auch vom saubcr
hergerichteten szenischen Milieu, in dem Sprache und Bewegung
zur Natürlichkeit angehalten wurden, viel mehr erwartet als srch

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