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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,1.1909

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1909)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8818#0147
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packt sein? Vielleicht ist unter die-
sen Anscheinbarcn einer, dcr dereinst
die Welt entzücken wird, als Maler,
als Dichter, als Luftschiffer, als
Entdeckcr, als Wissenschaftler, als
Politiker, als Held, als — Voll-
mensch irgendwelcher Art. Wer
sagt mir, daß es nicht der Fall sein
wird?

Aber darauf kommt es doch gar
nicht an. Ist denn der Ruhm der
einzige Maßstab zur Beurteilung
unserer Mitmenschen? Wie viele
Helden gibt es rings um uns her-
um, von denen niemand weiß und
erzählt! Wie viele Dichtungen ent-
stehen in Menschenherzen und wer-
den niemals gedruckt, wie viele Er°
findungen blitzen in Menschengehir-
nen auf und keiner weiß von ihnen!
Iedes Kind hat das Zeug zum Hel-
den, zum Dichter, zum Fürsten, zum
edeln Menschcn in sich und lebt das
Lebcn dcs Großen in seinen bcsten
Stunden. Was haben wir Erwach-
senen unsern Kindern gegenüber für
andere Aufgaben, als jedes zu sei-
nen Hoch-Zeiten der Entwicklung
zu führcn?

Demütig neige ich mich vor jcnen
allen, und stolz richte ich mich in
die Höhe. Wir alle sind gleichen
Blutes, jeder von uns ist von Adel,
denn in jedem von uns glüht das
winzige Flämmchen künftiger Größe.
And wcnn diese Größe auch nur in
einer einzigen Sekunde sich offen-
bart, sic wicgt Millionen versäumtc
Stunden auf, sie wirkt noch nach
Millionen von Iahren Segen, un-
ermeßlichen Segen, oder das Gesetz
der Erhaltung dcr Kraft würde zu-
sammenpoltern.

Hcinrich Scharrelmann

GesamLausgaben

ns wird geschrieben: Aberblickt
man das Literaturleben der Ge-
genwart, so wird man, ohne der Par-
teileidenschaft geziehen zu wcrden,

das eine feststellen dürfen: die zen-
tralen Fragen werden heute zugun-
sten peripherischer vernachlässigt.
Welche stilistischen Einflüsse die Iu-
gendgedichte von R mitbestimmt
haben, welche Erfolge den Dramen
von P auf (wie vielen?) Bühnen be-
schieden waren, welche Quellen sich
für den historischen Roman von Z
nachweisen lassen — das zu erfahren
gilt uns für ernstester Arbeit wert.
Die Frage aber, inwieweit bei X,
P und Z Dichter und Mensch
gleichzusetzen sind, wieviel wir
überhaupt aus Dichtungen vom
Menschen erfahren können, wird
kaum mehr als Problem behandelt.
Wo zum Beispiel wäre genügend
lauter Widerspruch erhobcn wor-
den gegen den Satz: Nietzsche i st
Zarathustra? And wo es gilt,
den geistigen Gehalt, die seelische
Gestalt, Können und Wollen eines
Mannes zu umschreiben — gar
vielleicht in künstlerisch annehm-
barer Form zu umschreiben, da
sind wir herzlich arm an Genügen-
dem. Wir haben Material, um
drei parallele Biographien Goethes
mit verschiedenen Tatsachen anzu-
füllen — aber eine genügende
Biographie Goethes haben wir
nicht. Mag man nun den Aber-
schwang der Freude über die natur-
wissenschaftlich-empirischen Metho-
den oder einen tiefer liegenden
geistigen Mangel unsrer Zeit für
diese Armlichkeit verantwortlich
machen, uns scheint, man sollte sich
besinnen. Mögen die folgenden Be-
merkungcn dazu beitragen, eine zen-
trale Frage der literarischen Kultur
zur Diskussion zu stellen.

Ich wollte von Gesamtausgaben
sprechen. Von welch crstaunlicher
Menge von Autoren erhalten wir
sie heute durch den Eifer rühriger
Herausgeber und Verleger! Nur
aus dem Gedächtnis nenne ich
einige Namen, deren Iahl sich

2. Oktoberheft GOY ((?

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