Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1910)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Tageskritik
DOI Artikel:
Scholz, Wilhelm von: Bild und Drama
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0019
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Aber wo kommen die Künstler-Referenten her, da wir doch bis
jetzt unter je zehn Kritikbeflissenen allerhöchstens je einen halben
haben? Uird woher die Verleger, die dem Theatermann in ihrer
Zeitung so freie Hand lassen? Das weiß ich nicht. Als die Anreger
der neuen Bewegung in der angewandten Kunst bildnerischer Art
ihre Forderungen aufstellten, wuszten sie aber auch nicht, wo die
alente herkommen sollten, die sie brauchten, und siehe, sie kamen
doch. Richtiger gesagt: sie kamen nunmehr allmählich zur Geltung.
Lrweist sich unsre Auffassung der Tageskritik mehr und mehr als
richtig, so wird man auch auf diesem Gebiet mehr und mehr auf Talente
zu achten lernen, die jetzt vielleicht abseits stehn, und sie nach vorn
rufen. Denn was die Verleger betrifft und die Herren Chefs über-
haupt, fo geben sie einem verehrlichen Publico ja jederzeit, was es
will. Will es erst künstlerischs, statt nur reflektierende Tageblatt-Be-
sprechungen, und tut es dieses kund — keine Sorge, so bekommt es sie.
Anfänge gibt es auch schon an mehr als einem Ort. Nnr ist das Publikum
an vielen seinerseits noch nicht „eingestellt" darauf: eine Künstlerkritik
zu lesen. Die muß subjektiv, muß persönlich sein, und wenn sie
diktatorisch auftritt, so besagt das nicht: „d a s i st s o", sondern „ich
fühle es so". Da gilt es hinzunehmen. Sie ist Bekeuntnis, nicht
Urteil, und in der Ehrlichkeit, Innerlichkeit und Wärme liegt ihr
Hauptwert. Nicht in der „Objektivität", denn das letzte geht hier
doch auf Gefühl und Phantasie zurück, und das sind nun einmal
keinc „objektiven" Kräfte.

Äbrigens sprachen wir von der Theaterkritik ja nur mit einem
Exempel. Was wir gesagt haben, gilt von aller Kunstkritik in der
Tagespresse, gilt auch von der Besprechung der Konzerte, der Ausstel-
lungen, der neuen Gebäude, gilt vor allem auch von allen Buchbespre-
chungen mutatis mutanäis geradeso. ^

Bild und Drama

s gibt eine Reihe künstlerischer Wirkungen im Drama, die das
>Kostüm, der ganze aufgewendete dekorative Apparat der eigent-
- 'lichen Vorstellung verdirbt, die auf den mittleren kostümlosen
Proben leuchtend vorhanden sind und schon in der Hauptprobe un-
aufhaltsam schwinden. Ich glaube, daß es vor allen Dingen dichte-
rische Wirkungen sind, Wirkungen der Beseelung, durch das Tert-
wort sowohl wie die schauspielerische Wiedergabe. Aber auch die
feineren dramatischen Momente gehören hierher. Man erlebt: daß
die rein geistige Suggestion des Dichters im Verein mit der geistig-
körperlichen des Schauspielers durch äußerliche Augenhilfen beengt,
ja stellenweise aufgehoben wird, weil nun Dinge schwere materielle
Farbe sind, welche die Phantasie in flüchtigster unbeachteter Skizze er-
gänzte, um sich ganz auf das Wichtigste zusammenzufassen. Ich kann
den skurrilen Vergleich nicht unterdrücken: es ist eine Art Entseelung,
wie wenn man etwa eine Kellersche Novelle in Alplertracht vorlesen
wollte, um ihre Unmittelbarkeit zu erhöhen. — Nicht minder gibt
es andere, wichtige dramatische Wirkungen, die erst mit dem Kostüm
entstehen und oft plötzlich auf der Hauptprobe da sind. Alle die

Ianuarheft WO

5
 
Annotationen