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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

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Heft 7 (1. Januarheft 1910)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0040
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Fleck von der Polarregion und
deckte sich dann über eine bis--
her dunkle Stelle. Damit begann
ein weiteres großes Verändern,
welches nach und nach das Aus-
sehen des Gestirns fast gänzlich
verwandelte. Ietzt werden weite
Regionen des Mars für uns von
düstern, gelblichen Schleiern vcr°-
hüllt. Was geschah dort? Wir
können es nicht verstehn. Wir
wissen nur, daß da, wo vielleicht
menschenähnliche Geister schafften,
eine Katastrophe von einer Wucht
und Ausdehnung hereingebrochen
sein muß, die nicht nur über irdi--
sches Lrfahren, die über irdisches
Ermessen hinausgeht. Vielleicht
bedeutet das, was die Astronomen
erkannten, überhaupt den Abschluß
einer Iahrmillionenzeit, da der
Mars bewohnt war. Bedeutet es,
daß dort alles, was langsam, lang--
sam ward seit Urzeiten her, und
organische Form annahin und be--
gann, zu atmen, sich zu nähren,
sich zu bewegen, zu wachsen, sich
zu mehren und zu wehren, und
anzupassen und auszuwählen, und
sich zu wandeln und weiter zu
wandeln, und endlich zu denken
und sein Gestirn zu beherrschen —
daß es mit all dem Lebendigen,
das aus der Ewigkeit dort auf--
tauchte, nun aus ist für Ewigkeit.
Oder: daß die Marsgeschichtc zu--
rück in das Nichts sank, um das
Keimen einer neuen Marsgeschichte
unter neuen Bedingungen vorzu--
bereiten, die einem neuen Leben
in Iahrmillionen als die einzige
erscheinen wird.

Was wäre gegen solche Ab--
schnitte des Seins ein Mcnschen--
jahr? Und doch zeigt uns das
kaum beachtete leise Erlvschen
alter und das leisc Erglimmen
neuer Sterne, daß noch ungleich
Gewaltigeres vor unsern Augen
geschieht. Nicht auf erdenkleinen

Planeten, nein, auf Sonnen. Auf
Sonnen, gegcn die unsre Sonne
klein wie eine Erde ist.

Es schadet uns wohl nichts, dic
Welt von Zeit zu Zeit 8ub specis
aeterni anzusehn. Der Gedanke
kann uns nicht kleinmü ig machen,
daß ja doch letzten Endes all
unser Tun, all unser Säen, alles
Säen aus unsrer und unsrer
Enkel Ernten in den Ewigkeiten
verrinnt. Weil wir wirken müs--
sen, darum wirkcn wir, weil wir
das Wirken-Können selbst schon
als den herrlichsten Lohn emp-
finden, darum sind wir des Lebens
froh. Und der 'Gedanke schon
adelt uns, weil er uns als Be-
gnadete erkennen läßt: daß Wir,
daß Ich, daß der Mensch das Ge-
fühl des Ganzen im All in sich
empfinden darf.

Ich glaube, wir dürfcn als An°
dacht zum neuen Iahr die Verse
des Mannes lesen, dessen wir im
alten mit besonderer Dankbarkeit
gedachtcn, Schillers des Großen:

Die der schaffende Geisk einst aus
dem Chaos schlug,

Durch die schwebcndc Welt flieg ich
des Windes Flug,

Bis am Strande
Ihrer Wogen ich lande,

Anker werf, wo kein Hauch inehr
weht,

Unb der Markstein der Schöpfung
steht.

Sterne sah ich bereits jugcndlich
auferstehn,

Tausendjährigcn Gangs durchs
Firmament zu gehn,

Sah sie spielen

Nach den lockenden Zielen;
Irrcnd suchte mein Blick umher,
Sah die Räume schon — sternen-
leer.

Anzufeuern den Flug weiter zum
Neich des Nichts,

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