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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 13 (1. Aprilheft 1910)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0074
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soll, als die zweckmäßigste Bau-
weise.

Der entwerfende Architekt, Prof.
Littmann, hatte in dem Vorstande
des anatomischen Institntes Prof.
Rückert einen vortrefflichen Be-
rater zur Seite. Langjährige
Tätigkeit und Erfahrung im Lehr-
amte ließen ihn die Bedürfnisse
und Anforderungen, die man an
die räumliche Ausstattung und
Einrichtung einer anatomischen
Anstalt stellen konnte, genau er°
kennen. Von ihm stammt die
Idee der fächerartigen Anlage
des Präpariersaals, die bei der
weitern Entwicklung zu der charakte-
ristischen Form des apsidenartig ge-
stalteten Mittelbaues führte. Man
denkt dabei an den Satz Michel-
angelos: „Nur wer die Anatomie
kennt, ist imstande, sich einen Ve-
griff von der innern Notwendig-
keit eines architektonischen Planes
zu machen." Aus den beigegebe-
nen Grundrissen und Schnitten
kann man leicht herauslesen, daß
die Raumverteilung durch die be-
sondern Erfordernisse eines spezia-
lisierten wissenschaftlichcn Betricbes
bestimmt wurde. Daher auch die
klare Gliederung des Gebäudes in
Verkehrs-, Arbeits- und Studien-
räume. Der gegen Nordcn stehende
Mittelbau umfaßt die großen Lehr-
und Abungssäle; im westlich gc-
legenen Flügelbau liegen die Ein-
gangshalle, Pförtnerwohnung und
Lrcppenhaus; der östlich gerichtete
Flügel beherbergt die Räume für
die wissenschaftliche Studienarbeit.
Der Verkehr wird durch die große
Treppenhalle geleitet, zu ebener
Erde gelangen die Besucher in
die Sammlungen, auf der Trcppe
zum ersten Obergeschoß in die
Unterrichts- und Äbungsräume der
Anatomie, im zweiten Obergeschoß
zum Mikroskopiersaal und in das
histologische Institut.

Für die eigenartige Anlage des
Mittelbaues waren in erster Linie
die Bedürfnisse des größten Unter-
richtsraumes, des Präpariersaales,
maßgebend. Die Schwierigkeit,
Hunderte von Studierendcn in
einem Raume bei ihren Arbeiten
zu überwachen, führte an einzelnen
Anstaltcn auf getrennte und in
verschiedenen Stockwerken verteilte
Präpariersäle, eine Einrichtung,
die aber den wissenschaftlichen Be-
trieb zersplittert. Nach Maßgabe
der Bedürfnisse der Münchner
Anatomie erschien eine Kombiua-
tion vorr beiden Formen als das
beste: ^Einen einzigeu großen, in
mehrere Anterabteilungen geglie-
derten Saal, der, um möglichst
viel Licht aufzunehmen, als Ro-
tunde über die Front des Hauses
hervorragt und von einem ge-
meinsamen Zentrum aus sich gegen
die Peripherie radiär in einer
Anzahl chorartig vorspringcnder
Abschnitte gliedert." Diese sinn-
reiche Raumeinteilung ermöglicht
eine praktische Arbeitsteilung und
bietet zugleich den Vorteil einer
Zentralisation des gesamten Be-
triebes. Auch für den über dem
Präpariersaal gelegenen Mikro-
skopiersaal erwies sich die halb-
kreisförmige Gestalt als zweck-
mäßig. Wie sehr der Architckt
verstanden hat, den Raum den
bcsonderen Zwecken anzupassen, das
zeigt der große Hörsaal, der als
pksatrum aimtomieuin ausgestaltet
ist und darauf Rücksicht nimmt,
daß die Studiercnden der Anato-
mie zugleich Hörer und Zuschauer
sind. Aber die besondern wissen-
schaftlichen Einrichtungen zu spre-
chen, ist hier nicht dcr Ort.

Die Münchner Anatomie darf
ihrer inneren und äußeren Aus-
stattung uach wohl als Musterbau
eines modernen naturwissenschaft-
lichen Instituts gelten. Was sich

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Kunstwart XXIII,
 
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