Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1910)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Hausfarbenakkorde in Landschaft und Stadt!
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0105
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
^Iahrg. 23 Zweites Aprilheft 1910 Heft 14

Hausfarbenakkorde in Landschaft und Stadt!

fünfzehn Iahren wohn ich in einem Vorort an einem Flusse,
l^^mein Blick streift über ihn weg auf ehemalige Wein- und Wald-
berge. Die waren noch, als ich hinzog, mit Häusern nicht gar
reichlich besetzt, aber wie die Großstadt wuchs und die Dörfer zu Vor-
orten wurden, gesellte sich Landhaus zu Landhaus, stellte sich jetzt
sogar schon auf Strecken Mietshaus an Mietshaus auch über diese
Hügel hin. Die häßlichen überwiegen nun, versteht sich, aber aus den
alten Zeiten sind noch gute geblieben und aus den neuesten gute
hinzugekommen. Es drängt sich an diesen Hängen schon sehr von
Zivilisation, und die wenigsten HLuser sind, wie's die alten waren,
im rechten Verhältnis und mit Geschmack den Massen und den Ge-
stalten der sanften Berglehnen angepaßt. Immerhin: es ist noch Grün
dazwischen, es könnte das alles noch freundlich und anmutig aus-
sehen. Ziehen Nebel, scheint die Nachmittagsonne warm, sinkt kühl
das Zwielicht, so gewinnt alles auf und ab, vor- und rückwärts bewegte
und doch geschlossene Landschaftsgestalt. Aber bei hellem Tageslichte
darf man's nicht sehn. Denn den Geländen, die einst das Entzücken
aller Maler, die als „mosi lovsl^ bills" nach England hinein und in
ganz Nordeuropa berühmt und besungen waren, ist durch alle die
Häuser nun jede Ruhe genommen: sie wirken, wie ein Stück Wiese
wirkt, über dem eine Wagenladung Zementsteine ausgeschüttet ist.
Nämlich: alle HLuser sind hell. Alle fallen daher aus ihrer Um-
gebung heraus, alle rufen „hier bin ich", und da ihrer hunderte und
tausende sind, so gibt das fürs Auge ein Geschrei. Und zwar ein
grelles Neben- und Durcheinandergeschrei.

Ich habe neulich davon gesprochen, daß für das Erhalten, Wieder-
herstellen oder Heben der Schönheit unsrer Landschaften das Erhalten,
Pflegen und Pflanzen von Busch und Baum von so hoher Wichtig-
keit sei, daß man dieser Anfgabe in ganz andrer Weise als bisher,
daß man ihr bewußt und systematisch nachgehen sollte. Ich behaupte
heute: ein weiteres Mittel, die Schönheit unsrer Heimaten vor dem
Untergange zu schützen, soweit sie sich eben schützen läßt, oder aber:
an Stelle der alten eine neue Schönheit zu setzen, wäre künstlerisches
Verwenden der Lokalfarbe. Das hätte sogar insofern noch weitere
Bedeutung, denn eine bewußte künstlerische Pflege der Bepflan-
zungen, als es nicht nur im „Freien", sondern auch in den Straßen
unsrer Dörfer und Städte von außerordentlicher Wirkung sein könnte.

Mir scheint, die Wichtigkeit dieser Sache ist selbst den Führern
unsrer ästhetischen Bewegung kaum noch in ihrer ganzen Bedeutung
ins Bewußtsein getreten. Aber das ist nicht weiter sonderbar. Vor
allem not tut gutes Bauen. Alles Grundlegende im baulichen, auch
im städtebaulichen Gestalten ist aber die Form, es war deshalb
in der Ordnung, daß man sich zunächst fast allein mit ihr beschäftigte,
denn so sicherte man der neuen Kultur das Fundament. Man fand
dabei so überaus viel zu bessern vor, daß man damit zunächst über-

2. Aprilheft MO 81.
 
Annotationen