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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,1.1910

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1910)
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Avenarius, Ferdinand: Bunte Bühne
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https://doi.org/10.11588/diglit.9031#0129
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^Iahrg. 24 Zweites Oktoberheft 1910 Heft2


Bunte Bühne

ohne das Variets — sagen wir doch deutsch: Bunte
^^/Bühne! — nein, ohne Bunte Bühne geht's nicht! Theore-
^ ^tische Betrachtungen brauchten wir kaum, um das zu beweisen,
die Praxis flüstert, spricht und schreit es hinaus alle Tage: ohne
Bunte Bühne geht's nicht. Also lauf ich, sagen wir mal: ins Tivoli.
Ich will doch lieber nicht von dem schreiben, was ich sah. Versuchen
wir's lieber im Apollotheater. Leser, reden wir von was anderm.
Aber am nächsten Tag im Sommergarten? Ach, war's dort langweilig!
Dann aber fand ich eines — ach, war das hübsch!

Ein Saal voll gehaltener Vergnügtheit, für gute Gesellschaft so
gestimmt, daß man schon durchs Umsehen im Raum nach allen Toll-
heiten auf der Bühne immer wieder vom animalischen lauten Lachen
zum menschlichen Lächeln zurückkam. Als ich hineintrat, zur Ein-
leitungsmusik die Ouvertüre zu Figaros Hochzeit! Als der Vorhang
aufging — o Aufatmen, nicht „die Soubrette, ohne Stimme aber
mit Toilette", sondern ein Mädel in schlichter Tracht, das sich in
behaglich wärmelndem Raum bei der Arbeit mit Singen die Zeit
zu vertreiben schien: Volkslieder, Kunstlieder, nun kam der Schatz,
noch ein Zwiegesang, dann war's aus. Schelmisch überleitende Musik,
als der Vorhang wieder stieg: ein „Zillertaler-Quartett". Aber in
der Parodie, nach der eben gebotenen echten Kunst die lustige Ver-
spottung der falschen sentimentalen; ich glaube, wer zusah, gewinnt
sein Lebtag nicht wieder an einem Koschat Geschmack. Nach den
Menschen Tiere. Eine Dogge, die sich mit Bällen herumbalgte in
aller Spielleidenschaft, deren solch ein Gesell fähig ist, voller Ge-
wandtheit, herrlich im Muskelspiel, dann Windhunde im Springen,
alle mit Lust dabei — weil's lauter Aufgaben waren, die ihrer Natur
entsprachen, die sie verstanden, keine Affentheateralbernheiten: das
Tier selbst in seiner tierischen Schönheit. Darauf der Kine-
matograph. Zunächst wieder der Hund in der vollen freien Bewegung
der Iagd, dazu eine Musik, die paßte. Dann: Vögel der ver-
schiedensten Art bei der Brutpflege belauscht: wie schön war das
alles, diese vergrößerten und doch so echten, so lebendigen Tiere bei
den verschiedensten Nestern im An- und Abflug, im Füttern, und,
es schien fast: im Gesang. Nun: ein Wettreiten mit den heran-
stürmenden Pferden, eine Reiterattacke aus dem Manöver, ein Fluß-
übergang von Kavallerie. Tier und Mensch, dann der Mensch allein:
Sport im Bild, jetzt Ringer, jetzt Turner, jetzt Schwimmer. Nach
dem Scheinbild wieder Wirklichkeit: Bogenschützen, Keulenschwinger,
Turner am Reck, alle Darbietungen nicht als bloßes „Muskelpietsch^-
tum", auch nicht auf „Gefahrenrekorde" hin, sondern in Schönheit.
Nach der Kraft die Anmut: Mädchen. Von Dalcrozes Schülerinnen
entzückend dargestellt zur Weberschen Musik die Aufforderung zum
Tanz. Dann der Tanz selbst: Ausdruckstanz, Reigentanz, jetzt in
edler Halbnacktheit, jetzt in langen Gewändern, wie die Antike sie

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