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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 10 (2. Feburarheft 1911)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0298
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Lose Blätter

Aus dem „Wehrwolf" von Herrnann Löns

fWer nicht gar zu unbedacht durch die Welt stapft, der kann das Wun-
dern so leicht nicht verlcrncn. Das freudig-gerührte Wundcrn nicht, wenn
er in die lebendige Natur schaut oder etwa zum tausendstenmal durch den
Fernsprechcr über Heidcn und Wälder und Ströme hinweg die Stimme
eines Freundes so nahe, als stünde der ihm dicht gegenüber, vernimmt.
Das entsetzenvolle Wundern verlernt er nicht, wcnn er bloß ein wenig
in die Geschichte Europas zurückblickt und etwa recht nahe — lumpige
zwei bis dritthalb Iahrhunderte hintcr uns — so unnennbare Greuel
wie die der Hexenprozesse und des Dreißigjährigen Krieges gewahrt.

Ist es eigentlich Heuchelei odcr optimistische Bequemlichkeit oder heilige
Aberzeugung von einer endgültig gefestigten Humanität — daß wir so
wcnig dazu kommen, das Wundern über diese besagten Greuel in uns
zu erneuern? Müßten wir es nicht öffentlich immcr wieder fruchtbar
machen, damit alle, alle davon durchdrungen werden, daß Kultur im sittlichcn
Sinn, einfache Pflcge der Menschenlicbe und lcbcndiger Gerechtigkcit
uns allc noch immer unendlich tiefer durchdringen müssen? Es stehen
auf deutschem Boden noch bewohnte Häuser aus dem scheußlichsten deutschcn
Iahrhundert — und die wahnwitzige Bestialität, die damals aus Glaubens-
streitcrci erwachsen und drei Iahrzehnte durchrasen konnte, sollte mit
Stumpf und Stiel ausgerottet sein? Das wäre doch, leider, am aller-
meisten zum Wundern . . .

Wenn der Niedersachse Hermann Löns jetzt cine Geschichte aus dem
Dreißigjährigcn Krieg geschriebcn hat, so wird sie wohl auch aus dem
Wundern entstanden sein, aber aus einem zwiefältig gemischten: einmal
aus dem entsetzenvollen über Abscheulichkeit und Nähe jcner Greucl
und dann aus dem freudig-gerührten Wundern, daß die Volksart, dcr
er sich innigst verwandt weiß, trotzdcm durch jene furchtbaren Zeiten hin-
durch bis auf dicsen Tag sich lebcndig erhielt. Dabei scheint dann nach
und nach die zweite Weise, die Freude am Volk seiner Heimat, stärker
gcworden zu sein als die erste. So wird dieses — um's mit eincm Wort
vorneweg zu sagen — dieses mannhafte Buch entstandcn sein: „D er
Wehrwolf", cine Bauernchronik.*

Der Titel hat einen Buchstaben zu viel. Es ist ja wohl ausgemacht
und sicher auch dcm Dichtcr bekannt, daß „Wehrwolf" einc irrige Schreib-
weise und „Wcrwolf" (Wärwolf — Mannwolf) die richtige ist. Nach
einem uralten, wcit und vielfältig verbreitcten Volksglaubcn gibt es
Männer, die sich auf bcstimmte Zeit in einen Wolf verwandeln, sci cs
daß sie wie unterm Zwang einer Krankheit cs müssen, sci es daß sie als
schlimme Zauberer es wollen. Hermann Löns läßt diescn Abcrglauben
unerwähnt, spricht durchgehends von Wehrwölfen uud läßt denn auch
bei der Namensgebung sagen: „Dennso bin ich der Meinung, daß wir
uns die Wehrwölfe ncnnen und zum Zeichcn, wo wir dcr Niedertracht
gewehrt haben, drci Beilhicbc hinterlassen . . ."

Mit Absicht scheint er von der ursprünglichcn Vedeutung zu schweigcn.

* Verlegt bei Eugen Diederichs, Icna
2^2 Kunstwart XXIV, (0
 
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