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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 17
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0362
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Könnte ich mündlich zn euch reden, an euerm Blick mich wieder be-
geisternd. So aber möge die gemeinsame Liebe den toten Bnchstaben
erwecken, die gemeinsame Gesinnnng den Dolmetscher bei euch machen.
(Aus dem Entwurf einer Rede an die preußischen Soldaten (806)

Rundschau

Vom fröhlichen Pessimi-
sten und vom verdroffenen
Optimisten

an sollte ja meinen, daß der
Pessimismus, also die Aber-
zeugung, daß die Welt schlecht
eingerichtet sei, den Patienten zu
einem ewig ernsten, trauernden
Menschen verurteile, der niemals
oder doch nur selten oder wider-
willig lache, und daß im Gegen-
teil der Optimist, also der Mensch,
dem der Himmel voll Lngel und
Heiligen hangt, der an einen per°
sönlichen lieben Gott glaubt, wel-
cher alles zu einem seligen Ende
führen werde, oder an eine gütige
Mutter Natur oder wenigstens an
eine weise immanente Weltord-
nung, daß ein solcher allzeit ge-
trost nnd fröhlich herumspaziere.
Aber die das meinen, überschätzen
unendlich den Einfluß der Welt-
anschauung auf die Stimmung und
auf das seelische Wohl- oder Abel»
befinden des Menschen. Wie es
sich da tatsächlich verhält, läßt sich
am besten durch ein Gleichnis ver-
anschaulichen.

Nehmen wir an, drei Gäste sitzen
im nämlichen Gasthof an der näm-
lichen Tafel und erhalten die näm-
lichen Speisen zum selben Preis.
Während des Essens beginnen sie
ein Gespräch über die Wirtschaft
unü den Wirt. Der erste urteilt:
„Meine Herren, beiläufig gesagt,
wir befinden uns hier in einer
Räuberhöhle." Der zweite ereifert
sich dagegen: „Durchaus nicht; ich
kenne den Wirt persönlich, er ist

ein grundehrlicher Mann; Sie wer»
den sehen, wir sind hier aufs beste
aufgehoben." Der dritte stimmt
ihm bei, mit der Einschränkung, der
Wirt habe das Geschäft längst auf-
gegeben, es sei jetzt ein anonymes
Aktienunternehmen; doch das ändere
nichts an der Sache: die Wirt»
schaft wäre nach wie vor vorzüglich.

Wird jener, der den Wirt ge-
priesen hat, und jener, der die
anonhme Wirtschaft gelobt hat,
besser speisen als der erste, der
die Wirtschaft eine Näuberhöhle
nannte? Sie erhalten alle das
nämliche Essen; es kommt kein
Kellner mit einem Extraplättchen
für die beiden gutgesinnten Gäste
und nimmt dem bösen den Braten
weg. Oder werden die beiden zu-
stimmenden Säste, also Nr. 2 nnd
Nr. 3, besser verdauen und nachts
besser schlafen, als der absprechende
Gast Nr. (? Eher umgekehrt, denn
Nr. ( wird, wenn das Essen schlecht
ist, sagen: „Ich habe von einer
solchen NLuberspelunke nichts and-
res erwartet; ich muß zufrieden
sein, daß es mir nicht noch schlech»
ter geht." Gesagt, geht auf den
Balkon und Pfeift eine Polka.
Unterdessen tobt Nr. 2 über das
elende Essen nnd die abscheulichen
Betten, schilt die Kellner aus und
verlangt das Beschwerdebuch. „Der
Wirt, der treue ehrliche Mensch,
mein lieber Frcund und Bekannter,
muß das erfahren; ohne Zweifel
geschieht alles ohne sein Wissen
und Wollen." Ihm spricht - der
Dritte mahnend zu: „Das Essen
ist keineswegs schlecht, es schmeckt

I (. Iuniheft (9(2 S0(

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