DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft)
DOI Artikel:Schumann, Wolfgang: Legende
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0193
slogen wie von besirichener Saite, nnd er wußte, daß die Wellen des Lichls nnd
der Wärme so sangen. Viele Tage vergingen und viele Nächte, da vernahm er im
Abendschein gewaltigen Jubel und sah den Erdenstern geboren aus dem Himmelö-
chaos, er schwang sich um den Sonnenball und vor ihm schwebte slügelnd eine
reine Gestalt, die aus gewaltiger Posaune blies, und diese hörte er. Und als wieder
viele Nächte vergangen waren, hörte er den Chor der Tiere wehvoll und lustreich
über die nackte Erde streichen, und das Flüstern der Bäume und Pslanzen im Winde,
leise, zag, voll Wehmut und Seligkeit. Den Wind hörte er dann, der brausend, die
Stimmen der Lebendigen in seinen Chören, über Halden und Mulden hinstürmte.
Es war lange Zeit vergangen, seit er taub hinauSgezogen war. Seine Haut war
gebräunt und seine Muskeln traten hart hervor. Als er nun im Sturm das irdische
Lied hörte, da zitterte er wie das arme Laub, und doch war ihm, als riese es ihn.
Sein Herz war voll vom dem Ächzen der Gestirne, von dem Sirren öes Lichts, von dem
Siegsang der sliegenden Erde, von den Chören des Getiers und den tausend Stimmen
im Wind. Zerspringen wollte es vor unnennbarer Fülle, und plötzlich gedachte er
der toten Mirjam, wie sie gesagt hatte: Gott füllt mich an und es wird mich zer-
sprengen. Tränen traten in scine von Sand brennenden Augen, aber sie sielen nicht
herab, nein sie versiegten, denn in diesem Augenblick vernahm er, als der Sturm
sich lauter und mächtiger erhob, Mirjams Gesänge darin, ja es waren ihre Gesänge,
die ini Wogen des WindeS gleich den Glockenklängen der Festtage über daS Gebirge
herunterhallten in die endlose Weite, und er stand hochausgerichtet und erkannte
sie und erkannte in ihnen daö Ächzen der Gestirne und die Millionen Laute der Tiere,
Pslanzen und alles Lebendigen, wieder wie einst auf dem Berge sang sein Herz mit,
uun wußte er es, und es brannte in heißem Schmerz und beseligter Lust. Da ver-
stand er den Rus, sank ins Knie und hob die Hände empor, lange und sromm. Dann
suchte er den Weg heimwärts.
Lange war er durch die Einsamkeit geschrittcn, da breitete sich plötzlich vor ihm Ta!
und Gehügel, begrünt, Ackerselder dazwischen, Menschenwerk und serne Städte und
Dörser. Er stand auf dcm Berg, wo er mit Mirjam gesessen. Den hatte cr unver-
merkt von rückwärts erklommen. Der Busch regte sich nicht, und er saß nieder und
gedachte mit stillcm Sinn der Toten. Wir sind wieder da! sagte er leise — wir! sie
und ich, ich und sie. Plötzlich zerrte ihn etwas am Gewand, ein Hund war winselnd
herangesprungen und hatte einen Zipsel seines Mantels gepackt. Nun zog er ihn
slehend hinter den Busch, und er solgte dem bettelnden Tiere willig. Hinter dem
Busch regte es sich — da setzte sein Atem aus. Sein Schritt siockte, und während
der Hund sich mühte, ihn sortzuziehen, erstarrte sein Blut. Jm Schatten lag eine
halbnackte Gestalt, greis und siech und gelähmt. E!n surchentieses, cntsärbtes Ant-
litz, mensch- und tierhast zugleich, mit triefenden Augen, wanöte auf saltig-schmutzi-
gem Halse sich zu ihm. Da ward die Haut seiner Wangen weiß, seine Hände zitter-
ten, er trat einen Schritt zurück und schrie grausenooll aus. Es war Gomal. Seine
Hände, fleischlose, zernarbte Hände streckten sich heischend ihm entgegen. Da schrie
er abcrmals. Gomal kroch ihm nach, auf den blutigen Knien, die Hände noch auSge-
streckt. Da schrie er zum ,dritten Male und sein Schrei füllte alle Räume bis an
den blausingenden Himmel und bis zur Erde hinunter, und der Wind saßte den
Schrei und trug ihn brausend sort. Wie ihn aber der Wind saßte, und vertausendsachte,
da erkanntc er im eigenen grausenvollen Schrei alles, was sein Ohr in der Wüste ver-
nommen hatte und selbst Mirjams Lieder, und zum andern Male war er ersüllt bis
zum Rande und erglühte inncrlich. Er wars mit Macht die Hände empor, sausteke die
zitterndcn Finger, zwang die Hände wieder hcrab, richtete den heißen Blick aus Gomal
— der Hund stand zitternd nebcn dem Kläglichen — und sprach: Steh aus, Bruder,
und wenn Du kannst, so gehe heimwärts! Dann stieg er zu Tal.
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der Wärme so sangen. Viele Tage vergingen und viele Nächte, da vernahm er im
Abendschein gewaltigen Jubel und sah den Erdenstern geboren aus dem Himmelö-
chaos, er schwang sich um den Sonnenball und vor ihm schwebte slügelnd eine
reine Gestalt, die aus gewaltiger Posaune blies, und diese hörte er. Und als wieder
viele Nächte vergangen waren, hörte er den Chor der Tiere wehvoll und lustreich
über die nackte Erde streichen, und das Flüstern der Bäume und Pslanzen im Winde,
leise, zag, voll Wehmut und Seligkeit. Den Wind hörte er dann, der brausend, die
Stimmen der Lebendigen in seinen Chören, über Halden und Mulden hinstürmte.
Es war lange Zeit vergangen, seit er taub hinauSgezogen war. Seine Haut war
gebräunt und seine Muskeln traten hart hervor. Als er nun im Sturm das irdische
Lied hörte, da zitterte er wie das arme Laub, und doch war ihm, als riese es ihn.
Sein Herz war voll vom dem Ächzen der Gestirne, von dem Sirren öes Lichts, von dem
Siegsang der sliegenden Erde, von den Chören des Getiers und den tausend Stimmen
im Wind. Zerspringen wollte es vor unnennbarer Fülle, und plötzlich gedachte er
der toten Mirjam, wie sie gesagt hatte: Gott füllt mich an und es wird mich zer-
sprengen. Tränen traten in scine von Sand brennenden Augen, aber sie sielen nicht
herab, nein sie versiegten, denn in diesem Augenblick vernahm er, als der Sturm
sich lauter und mächtiger erhob, Mirjams Gesänge darin, ja es waren ihre Gesänge,
die ini Wogen des WindeS gleich den Glockenklängen der Festtage über daS Gebirge
herunterhallten in die endlose Weite, und er stand hochausgerichtet und erkannte
sie und erkannte in ihnen daö Ächzen der Gestirne und die Millionen Laute der Tiere,
Pslanzen und alles Lebendigen, wieder wie einst auf dem Berge sang sein Herz mit,
uun wußte er es, und es brannte in heißem Schmerz und beseligter Lust. Da ver-
stand er den Rus, sank ins Knie und hob die Hände empor, lange und sromm. Dann
suchte er den Weg heimwärts.
Lange war er durch die Einsamkeit geschrittcn, da breitete sich plötzlich vor ihm Ta!
und Gehügel, begrünt, Ackerselder dazwischen, Menschenwerk und serne Städte und
Dörser. Er stand auf dcm Berg, wo er mit Mirjam gesessen. Den hatte cr unver-
merkt von rückwärts erklommen. Der Busch regte sich nicht, und er saß nieder und
gedachte mit stillcm Sinn der Toten. Wir sind wieder da! sagte er leise — wir! sie
und ich, ich und sie. Plötzlich zerrte ihn etwas am Gewand, ein Hund war winselnd
herangesprungen und hatte einen Zipsel seines Mantels gepackt. Nun zog er ihn
slehend hinter den Busch, und er solgte dem bettelnden Tiere willig. Hinter dem
Busch regte es sich — da setzte sein Atem aus. Sein Schritt siockte, und während
der Hund sich mühte, ihn sortzuziehen, erstarrte sein Blut. Jm Schatten lag eine
halbnackte Gestalt, greis und siech und gelähmt. E!n surchentieses, cntsärbtes Ant-
litz, mensch- und tierhast zugleich, mit triefenden Augen, wanöte auf saltig-schmutzi-
gem Halse sich zu ihm. Da ward die Haut seiner Wangen weiß, seine Hände zitter-
ten, er trat einen Schritt zurück und schrie grausenooll aus. Es war Gomal. Seine
Hände, fleischlose, zernarbte Hände streckten sich heischend ihm entgegen. Da schrie
er abcrmals. Gomal kroch ihm nach, auf den blutigen Knien, die Hände noch auSge-
streckt. Da schrie er zum ,dritten Male und sein Schrei füllte alle Räume bis an
den blausingenden Himmel und bis zur Erde hinunter, und der Wind saßte den
Schrei und trug ihn brausend sort. Wie ihn aber der Wind saßte, und vertausendsachte,
da erkanntc er im eigenen grausenvollen Schrei alles, was sein Ohr in der Wüste ver-
nommen hatte und selbst Mirjams Lieder, und zum andern Male war er ersüllt bis
zum Rande und erglühte inncrlich. Er wars mit Macht die Hände empor, sausteke die
zitterndcn Finger, zwang die Hände wieder hcrab, richtete den heißen Blick aus Gomal
— der Hund stand zitternd nebcn dem Kläglichen — und sprach: Steh aus, Bruder,
und wenn Du kannst, so gehe heimwärts! Dann stieg er zu Tal.
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