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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 11 (Augustheft)
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Stadelmann, Rudolf: Die Kunst der neuen Sachlichkeit: Malerei und Drama
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0332

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Nietzsche die Geister nicht mehr ruhen Iieß Tag nnd Nacht und sie müde peitschte
wie der Sturm die Pappeln am See.

Zunächst scheint es gan; anders. Da stehen die Figuren Georg Schrimpss vor unS
wie ein Kind mit großen reinen Augen, unbekümmcrte Natur, knapp und ohnc Geste,
wi'e sie der Bauer sieht, der über Feld geht. Wi'e kommt di'eser wahrhaft Primiti'vö
in den Krei's der gequälten „Sachlichen"? Jst am Ende noch m seincm Frommsein
eine unaufhaltsame schleichende Mattheit und in dem Pflanzenhaften seiner Gestalten
ei'n Verzicht? Aber trotzdem — seine Kunst steht abseits und wi'rd von alten, halbr-
verschutteten Ouellen gespei'st; mit dem Wesen eineö Dix und anderer hat sie wenig
gemein. Denn diese Sachlichkcit ist so gar nicht naiv, so ganz mi't den Sinnen und
Nerven der Großstadt errafft. Und sie verschleiert es nicht. Das, was die Meta-
physik jeder Malerei ausmacht, ihr Dinggefuhl, spricht fast überlaut und mit furcht-
barer Ei'ndri'nglichkeit aus jedem Pi'nselstrich. Es ist ein inkensiver Naturalismus,
der in den Dingen wühlt, si'e aufreißt und zusammcnballt — ohne Willkür, mit ding-
hafter Wucht. Aber di'eser Naturalismuö blei'bt kalt, ohne die Wonne des EntdcckerS,
ohne die Lust des Aufklärers. Es ist eine Sinnlichkeit ohne Leidenschaft, ci'n Ilmarmen
ohne Glut, und das Sehen bleibt frcudlos. Noch der ^smpressionist, der scin Pleinair
„eroberte", der Expressiom'st, der scine Farbgesichte gestaltete, trug die strahlende Binde
des Siegers. Diese Malerei kommt — vielleicht zum ersten Mal — nicht aus einem
Enthusiasmus, sondern aus einer Entkäuschung, d!e zn ciner heroischen Tugcnd gemacht
wurde. Oft sind es einfache „Dinge", die sie malen — ein ^ntcricur, PorträtS/
eine Figur in der Landfchaft. Aber der Schlcier, den Licht und Lufk, Farbe und Form
um die Krcatur schlingen, ist ihnen vom Gesicht gcrissen, und auS den aufgepflügten
Furchen der Welt redet ei'ne furchtbare Sprache. llnd diese Schamlosigkeit leidet
nnter sich selbst, wenn sie spricht: wir si'nd fertig mit dcn Dingen, wir haben ihre
Banalität durchschaut und verachten sie. Aber wir müssen sie sehen in i'hrer ganzen
Schwere und finden ein grausames Bergnügen darin, dieses llnabänderliche uns
einzuhämmcrn, indem wir eS in seiner unerbittli'chen Hoffmmgslosigkeit nnd Ilnerträg-
lichkeit verewigen. Geheimnisse suchen wir nicht hinter dicser nacktcn Nealität. Daß
man Freude oder Erbikkcrung oder Wehmut ihr gegenüber empfindcn könnte, klingt
jetzt fast schon wie ei'n Märchcn ans der Kinderstubc. Geltenlasscn, Anerkennen,
Sehen ja — aber doch kcine Stellungnahme, kein Windmühlengefecht nnd keinen Knie-
fall. Denn die furchtbar leeren Räume sind ja leblos, scelenloö. Allcs ist Pnppe,
Maske, satanische Jronie: ein Kind oder eine Zimmerflucht oder ein Ofenrohr.
Nur der Mechanismus der Dinge schcint geblicben, ein Homunkulus statt des Men-
schen. Das spricht auS der Überbetonung der Gleichförmigkeit, aus dem mafchinell
geregelten Aufbau, aus den abstrahicrten Farben, aus der Borliebe für Pierrotmotive.
DaS spricht noch mehr aus dekorativen Einzelheiten wie dem unvermcidlichcn Domino-
mnster des plattenbelegtcn Grundes, das die Maskcrade eröffnet. Alles scheint zu-
nächst eine zynische Parodie. Aber das Lachen erschrickt nnd erstirbt auf dcn Lippen,
denn es fehlt alles Befreiende der Persiflaqc. f^sm Gegenteil: cs ist furchtbar ernst nnd
mi't knirschenden Zähnen gemalt in eincr Vcrbissenheit, die ans Ekel nnd Achtung selt-
sam zusammcngesetzt ist. Nil admi'rari steht über di'eser Knnst — aber die Bcscheidnng
vor dcr vcrrückten, grausam enthülltcn nnd zuglei'ch schemenhaft cntwirklichten Realität
ist fast wieder zu einer nihilisti'schen Andacht geworden.

klnd das Drama diescr Gegenwart, Bertold Brechts „Dickicht" etwa oder BlumeS
„Bonaparte", will nun solches Zerschlagensein in Handlung umsctzen. NcurealiSnniS,
Kapitulati'on vor der intensivierken Wirklichkeit ist die Formcl. Ein Zurückgreifen
scheinbar auf das ig. Jahrhundert. Aber eS fehlt dcr naive Pfadfinderstolz des Na-
tionalisten und man ist weit von der Leidenschaft und Sicherhei't des fgnsti'nktes, dic
Büchner trieb. Die neue Dichtung ist auf der Flucht, auf der Flucht vor dem Ziel,
 
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