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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,1.1926-1927

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Heft 2 (Novemberheft 1926)
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Popp, Josef: Moderne Bildnerei
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Fischer, Eugen Kurt: Laienbühne und Künstlertheater
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https://doi.org/10.11588/diglit.8881#0103

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Form gegenseitig verspannt, daß es einen „Dreiklang" ergibt. — Gewiß sind solche
und ähnliche Bestrebnngen nur ein Durchgangsstadium, aber mehr als bloß inter-
essant; sicher toertvoll für die Meisterschaft >m Dynamifchen und dami't weitere
Möglichkeiten auch fur das Geistige erschließend; außerdem zu körperlichen Neu-
formungen anregend. Zum Schlusse möchte ich deS Münchener Bildhauers Knappe
gedenken, der mir der einzige gegenwärtige Expressionist aus innerer Notwendigkeit
ist. Männlicher, stärker, rassiger, religiöser als Lehmbruck, ohne ihm an Sensibilität
und Geistigkeit nachzustehen; von ciner tieferen Religiosität erfüllt, die nicht im Sinne
einer bestimmten Auffassung sich betätigt, vielmehr das Menfchliche erschütternd, hin-
reißend im Religiösen erlebt und erleben läßt. So ergreifen in seiner Pietä Sohn
und Mutter in der Einheit ihres Leides, gewinnt er unS für das Jdyllifche der heili-
gen Familie, zeigt er uns die ritterliche Gebefreudigkeit deg heiligen Martinus. Auch
den dröhnenden Schritt marfchierender Regimenter im Münchener Kriegerdcnkmal,
das verfchlagene Sitzen eines spitzbübischen Straßenbettlers erfaßt er im Wesen. Jm
Bildnis gibt er in einer geradezu rücksichtslosen Offenheit tiefe Blicke in menfchliche
Jndividuen und die Art ihres Gehabens, in Augenblicke zusammengedrängt — aber
nicht in einer impressionistisch geistreichen Zuspitzung, sondern den Menschen wie im
Brennpunkt. Knappes Medaillen gehören mit zum Besten, was die letzten Jahrzehnte
hervorgebracht, und sind vielfach einzigartig — leider fehlen sie im Münchener
staatlichen Münzkabinett. Theoder Fischer ist es wiederum gewesen, der die ganz
besondere architekturplastifche Begabung Knappes zum Schmuck seines neuen Ziegel-
baues herangezogen. Bielleicht gehen darüber gewissen Leuten die Augen auf, daß
der Expressionismus noch nicht tot ist, daß er vielmehr erst beginnt —, nun geläutert,
vertieft, wirklich auS dem Geifte Auferstehung feiernd. -— Wie arm ist dagegen die
„Neue Sachlichkeit" der Malerei, die wohlmeinende Gläubige uns als Magie emp-
fehlen: die Magic der kleinen Leute und Spielwarenhändler. — Gewiß ist auch in
der Plastik der Gegenwart ein gewisser Stillstand eingetreten, aber sie ist doch im
ganzen lebendiger als ihre malende Schwester.

Laienbühne nnd Künsilertheater

Don Dr. E. Kurt Fischer

I.

L-ls die Hoftheater noch blühten und die Operette „volle Häuser machte", wuchs,
I nicht nur in theaterlosen Städten, die Bereinsbühne zur Wirkungöstätte klein-
bürgcrlicher Eitelkeit und gernegroßer Nachäfferei. Daß es „große Kunst"
und Schmarrn zum Spielen gab, lernte man vom Berufstheater, und ebenso das
Schminken, Maskemachen und Deklamieren. Die Kunst der öffentlichen Schaubühnen
kam nicht aus einer Gemeinfchaft, sie wurde von Spielern unterfchiedlichen Kultur-
niveaus für ein ebenso uneinheitliches Publikum ausgeübt und war, genauer besehen,
als Aufführungsganzes fast nie ein Kunstwerk, sondern höchstens als einzelne Schau-
spielerleistung. DaS Dilettantentheater übernahm kritiklos und unbesehen, was daS
Schauspielertheater bot, die Stücke, die Bühnentechnik, die Regie- und Darstellungs-
mittel, nur alles bis zur Unleidlichkeit ins Stümperhafte vergröbert, weil nirgends,
auch beim einzelnen Darsteller nicht, Kunst zu finden war, und weil kein tcchnischeS
Könncn den Mangel an Gestaltungskraft auch nur notdürftig ausglich. Daß einzelne
Begabungen sich zeigten, daß dieser und jener auf dem Gasthofspodium den Entfchluß
faßtc, Schauspieler zu werden, wog (und wiegt) die negative Seite der Erfcheinung
»icht auf. Der Zorn des Berufsfchauspielers auf den Friseurgehilfen, der ihm, auch
noch ums Geld den Othello nachspielt, ist begreiflich, und die Abneigung deö Kunft-
freundes gegenüber solcher Profanierung der szenifchen Kunst ist mindestens so ver-

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