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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1927)
DOI Artikel:
Alverdes, Paul: Rainer Maria Rilke
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0027

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der Docht dem Licht, damit es habe, woran es leuchte! Von hier aus deuken
wir die Wanderung Rilkes in die Welk der Gestalken und Erscheinuugen,
von hier aus die Bogierde nach immcr neuer Form, nach immer anderer, tieserer
Verwandlung. Er suchte sie nicht um ihrer selbst willen auf; nicht um zu
spielen, nicht um leeren Formen leere anzusügen bildete er unermüdlich nach und
bildete neu, sondern um im Geschöps den Schöpser, im IeHt das Ewig zu
erleben und zu preisen. Schon hier im Stundenbuch klingen denn auch die
großen Themen der Fassung, der Lebens- und Leidenswilligkeit, der „Weltlich-
keit" im Sinne Hölderlins an, die dann in den Duineser Elegien ihren groß-
artigsten Ausdruck gesunden haben. Diese Frömmigkeit, von keinerlei charmantem
Mode-Optimismus auch nur berührt, gibt nicht erst vor, zu wissen, was gut
und was böse sei, sie verschmäht es, Rezepte zu schreiben, nach denen man
gut fahren würde, die Zustände dieser Welt zu ändern; sie Lrachtet weder zu
predigen noch zu taufen, denn all das ist ihr kein Thema sür ein Gedicht. Son-
dern sie schaut an. Sie trauert und sciert zugleich.

Iricht sind die Leiden erkannt
nicht ist die Liebe gelernt
und was im Tod uns entsernt
ist nicht entschleiert.

Einzig das Lied überm Land
heiligt und seiert...

heißt es später einmal in den Sonetten an Qrpheus.

Heiligung und Feier, sie sind die großen Themen der letztcn Dichtungen Rilkes,
der Sonette an Orpheus und der Duineser Elegien. Noch ist in den Sonetten
zuweilen eine gewisse Künstlichkeit, ein mehr erstaunendes als erschütterndes
Spiel der Formen, eine manchmal allzu vielsältig verschlungene und sast ver-
zwickte Führung der Gedanken. 2lber schon ist alle Anschauung groß und un-
mittelbar auf den innersten Menschen zielend, schon der Lragischen Seelenland-
schaft der Elegien angenähert. Da stehen schon, nur in wenigem noch an Sonette
eriunernd, schmalstrophige Lieder, deren klare und karge Sprache mit ihrem
Verzicht aus jeden überslüssigen Schmuck und PuH von errungener Meister-
schast zeugt. Und dann, völlig im BesiHe aller seiner Mittel, zu sagen, was er
leide mächtig, wie nie zuvor, durchwandert dcr Dichter in den Duineser Elegien
noch einmal seine ganze Welt. Es ist die Welt des Menschen schlechthin:
des Liebenden, des Ratlosen, des Irrendcn und Verzweifelnden, des Handelnden
und Erleidenden, des Wissenden und des NÜchtwissenden, Tod und Ver-
strickung hinter ihm, Tod und Verstrickung vor ihm unausweichlich, inmitten
ciner uralten Landschaft voll Geheimnis, selige Tiere und umgetriebene Gei-
ster ringsum und über ihm Engel und die unsterblichen Sterne. Es ist schwer
und eigentlich unmöglich, die Themen dieser Elegien im Einzelnen zu nennen und
zu umgrenzen. Denn sast in einer jeden singk der Dichter wie aus der Herz-
mikke dieser Welt heraus, alles scheint ihm gleich nahe und gleich serne zu
sein, nur lose bindet er die Gedanken aneinander, fast wie im Traum. Aber
welchc wahrhaft unerhörte Sprache redek er nun: Abgründe ausgrabend, ferne
Gipfel dieser Welt mit leichken Händen zueinander biegend, mit welcher ge-
drängken Inbrunst im gebändigtsten, im gefaßtesten aller, im sogenannten freien
Rhythmus! Nirgends, seit den großen Iahrzehnken der deutschen Poesie gab
 
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